Originalität satt

■ Von Hunden und Menschen: „Produkt: Kunst“: Multiples der Edition MAT im Museum Weserburg

Der Haushund, zumindest der eigene, ist ein Individuum, ein Original – unverwechselbar sein Bellen, einzigartig die Haltung seines müden Schlappohrs. Der Mensch aber beeindruckt so richtig erst als Riefenstahlscher Aufmarsch. Einzeln nervt er, der andere Mensch, in seiner Durchschnittlichkeit – so sagen es zumindest viele (Durchschnittsmenschen). Obwohl wir täglich nach besonderen Menschen fahnden, gefallen uns – ein bißchen Inkonsequenz muß sein – am meisten Gesichter mit Durchschnittsmaßen, Mittelwertstirngerunzle, Mittelwertnasenlochdurchmesser; das sagen psychologische Studien und die ehrliche Innenschau.

Das Verhältnis von Besonderem und Massenhaftem, Original und Imitat, Handarbeit und Fertigprodukt ist ziemlich komplex. Warum sinkt der Wert einer Graphik mit wachsender Auflagenhöhe, als ging's um Wurst oder Semmeln? Passend zur aktuellen Diskussionen über Virtualtität, Interaktion, Massenfertigung und Austauschbarkeit zeigt die Weserburg jetzt eine feine kleine Ausstellung: „Produkt: Kunst! Wo bleibt das Original?“.

Die Ausstellung verkettet drei Teile sinnig miteinander. Am Anfang stehen jene Künstler, die sich von der romantischen Idee des einzigartigen Kunstwerks als Ausdruck der ebenso einzigartigen Künstlerseele lösen: Ready made, Übermalungen, Auftragsfertigung von Kunst...

Es folgen Beispiele der „Edition MAT“, eigentlich eine Vertriebsform, die – the medium is the massage – weitreichende Folgen für die Inhalte der Kunst hatte. Dreimal (1959, 1964, 1965) versuchten circa 35 Künstler ihre „Objekte“via Versandkatalog in 100facher Vervielfältigung an den Mann zu bringen.

Fast wie bei der Arte povera-Ausstellung erstrahlen die alten Dinger noch immer in wunderbarer Skurrilität. Von Man Rays Metronom glotzt dem Betrachter rätselhaft ein Auge entgegen und Tinguely bringt einige räudige Papierfetzen und Haarbüschel übermütig zum Rotieren. Richtiggehend komisch, wenn Kunsthistoriker mit geballter Kompetenz dies kleine Objekt umzingeln und einer historischen Ortung unterziehen: im Unterschied zu Multiples, die auf fabrikmäßige Gleichheit pochen, zähle es zu jenen, wo Variierbarkeit erwünscht ist. Der glückliche Besitzer von Tinguelys Rotierapparat kann nämlich selbst entscheiden, welches Ding er schwindlig machen will und in die Rotierapparatur einspannt.

Kein Wunder, daß es dieser schalkischen Edition MAT gelang, zwei alte Recken der Kunsthinterfragung zu gewinnen. Neben Man Ray konnte Kunstverweigerer Duchamp noch einmal von seinem geliebten Schachbrett weggelotst werden. Überhaupt stößt man auf erstaunlich viele große Namen: Vasarely, Arman, Niki Saint Phalle. Initiiert aber wurde die Edition von Daniel Spoerri, der später durch seine Fallenbilder berühmt wurde.

Vor allem aber zeigt die Ausstellung, wie die Idee der Vervielfältigung in der aktuellen Kunst weiter- und neugedacht wird. Von Raffael Rheinsberg etwa sieht man alte, ausrangierte Hydrantenabdeckungen aus der DDR, so verschieden gewachsen, als gelte es den Vorwurf stalinistischer Glattbügelung zu widerlegen. Jedes der roten Hütchen trägt seine höchst eigenen Verwesungsspuren, ob von Skins angepinselt oder von Hunden rostig gepißt. Nur in der Lackierung hingegen unterscheiden sich die Gipsurnen von Allan McCollum: Bonbonbunt und albern soldatesk aneinandergereiht, steht doch jede Urne für ein richtiges, langes, eigenes, bonbonbuntes (?), soldateskes (?) Menschenleben.

Nach den wirren Documenta-Erfahrungen tut jedenfalls eine Ausstellung mit rotem Faden überaus gut. Der nämlich zettelt stumme Gespräche zwischen den Objekten an. Von zwei Kunstwerken darf sich der Besucher übrigens kleine Portionen mit nach Hause nehmen. Natürlich wird nicht verraten von welchen. Tippen Sie doch einfach mal, schlimmstenfalls landen Sie im Gefängnis und haben viel Zeit den empfehlenswerten Katalog zu studieren. Barbara Kern

Weserburg bis 30. November