: "Polizeitaktik fördert die Kriminalität"
■ Drogenprojekte werfen der Polizei vor, durch verschärftes Vorgehen gegen Junkies die Kriminalität zu unterstützen. Verelendung der Abhängigen schreitet voran. Hilfen aus "ideologischen und finanzie
Mit ihrem verschärften Vorgehen gegen Junkies fördert die Polizei die Kriminalitätsentwicklung in der Stadt. Diesen Vorwurf haben Mitarbeiter mehrerer Drogenberatungsstellen erhoben. Die Drogenberatungsstellen Fixpunkt, Misfit, Ska und STRASS kritisieren die härtere Linie gegenüber der Drogenszene, die die Polizei seit einigen Wochen vor allem in Kreuzberg verfolgt.
Wie berichtet hatte der Leiter der Direktion 5 (Kreuzberg und Neukölln), Michael Wilhelm, Anfang September das Polizeikonzept zur Bekämpfung der Drogenszene vorgestellt: Ziel der verstärkten Razzien sei, die Lebensqualität der Dealer und Junkies „zu verschlechtern“. Wilhelm gab zu, daß die Polizei die mit dem Drogenhandel einhergehenden Probleme rund um die Szene-Treffpunkte damit nicht löse. „Aber selbst wenn es unnütz ist, müssen wir es tun, weil die Bevölkerung einen Anspruch darauf hat.“
In der Praxis steigen nach Angaben der Drogenberatungsstellen durch die zunehmende Verfolgung Kriminalität und Aggressivität noch mehr: „Ein Junkie, dem sein Dope-Päckchen abgenommen wird, muß doch gleich wieder klauen gehen“, wissen die Sozialarbeiter. „Durch den Streß wird die Verelendung gefördert, und die Spirale von Beschaffungskriminalität und Gewalt dreht sich immer schneller.“
Aber auch ihre eigene Arbeit sehen die Streetworker durch die Polizei massiv behindert. So sei das Kottbusser Tor mittwochs und freitags schon mehrfach durch Razzien „wie leergefegt“ gewesen, wenn die Fixpunkt-Mitarbeiter dort in den Gesundheits- und Präventionsmobilen ihre regelmäßigen Sprechstunden abhalten wollten. Zivilbeamte observierten direkt vor dem Streetworker-Laden „Ska“ die Szene und hätten den Laden sogar schon betreten, obwohl der „Schutzraum“ für die Polizei tabu sei. Weil ihnen ständig die Angst im Nacken sitze, seien viele Junkies nicht bereit, sich so wie bisher medizinisch versorgen zu lassen und ihre gebrauchten Spritzen abzugeben. Diese Tendenz sei auch an den Treffpunkten der offenen Drogenszene in der Innenstadt, wie der Kurfürsten-, Potsdamer und Bülowstraße sowie am Bahnhof Zoo zu beobachten. Viele User würden ihre Spritzen wieder weggwerfen, weil sie Strafverfolgung wegen eventueller Heroin-Anhaftungen befürchteten.
In letzter Zeit habe es häufiger so begründete Festnahmen gegeben. Die Staatsanwaltschaft kann Verfahren wegen Kleinstmengen zwar einstellen, muß dies aber nicht tun. Die Sozialarbeiter fordern deshalb klare politische Richtlinien. Die Treffpunkte der offenen Drogenszene in der Innenstadt und am Kottbusser Tor werden nach Schätzung der Streetworker insgesamt von rund 2.000 bis 3.000 Abhängigen frequentiert, die ständig „in Bewegung“ seien. Die Probleme für die Anwohner wie achtlos weggeworfene Spritzen, vollurinierte Hausflure und aggressive Dealer sind den Drogenberatern bewußt. Die Einrichtung von Druckräumen könne zumindest einige dieser Probleme mindern, hieß es, aber solche Ideen würden vom Senat „aus ideologischen und finanziellen Gründen ausgebremst“. Wenn schon auf die Streetworker keiner hört, erwarten diese zumindest vom Polizeipräsidenten, daß er „der Politik Rückmeldung über die Sinnlosigkeit der Vertreibungsstrategie gibt“. Plutonia Plarre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen