: Mit Blair ins 21. Jahrhundert
Der Labour-Parteitag entmachtet sich selbst. Der britische Regierungschef läßt sich abfeiern. Parteilinke zieht mit drei Vertretern in den neuen Vorstand ein ■ Aus Brighton Ralf Sotscheck
Vier Minuten stehende Ovationen. Der britische Premierminister Tony Blair kann zufrieden sein. In seiner 60minütigen Rede auf dem Labour-Parteitag im englischen Seebad Brighton feierte er gestern sich und seine Regierung: zum erstenmal seit 19 Jahren kann der Labour-Parteitag mit einem Premierminister aufwarten. Und seine Bilanz nach fünf Monaten Amtszeit, daran ließ Blair keinen Zweifel, könne sich sehen lassen. Nach der Modernisierung der Partei sei nun Großbritannien dran, das unter Labour zum „leuchtenden Beispiel in der Welt“ werde. An seine Regierung soll man sich als „die radikale Reformregierung der britischen Geschichte“ erinnern.
Es war weder der Ort noch der Augenblick, um die künftige Labour-Politik konkret zu umreißen. Lediglich im Bildungsbereich, von Anfang an Schwerpunkt der Regierung, fielen ein paar Zahlen: Bis 2002 sollen 80 Prozent mehr Menschen lesen und 75 Prozent mehr rechnen können, 500.000 neue Studienplätze sollen geschaffen werden. Ansonsten zog Blair die erprobten Register: Er wolle „eine Modellnation für das 21. Jahrhundert“ aufbauen, sagte er, und immer wieder baute er nationalistische Töne ein: „Wir können nicht mehr das größte Land und wohl auch nicht wieder das mächtigste Land sein, wohl aber das beste.“ Dazu seien „harte Entscheidungen“ zu treffen. Die zwei Millionen alleinerziehenden Mütter, die Blair bereits im Sommer aufs Korn genommen hatte, werden es mit Sorgen vernommen haben. Sie müssen sich entweder einen Job suchen oder den Gürtel enger schnallen.
Blair hat seine Partei im Griff, auch wenn am Vortag die Parteilinke noch einmal gezuckt hatte. Peter Mandelson, engster Blair- Vertrauter und Architekt des Wahlsiegs vom Mai, ist bei dem Versuch gescheitert, sich in den Parteivorstand wählen zu lassen. Blair hatte einmal gesagt, seine Arbeit sei erst beendet, wenn „Labour es gelernt hat, Peter Mandelson zu lieben“. Statt dessen haben die Parteimitglieder nun Ken Livingstone in den Vorstand geschickt, der wie kein anderer „Old Labour“ repräsentiert. Seit seinen Tagen als Stadtoberhaupt von Groß-London nennt man ihn den „Roten Ken“.
Neben Livingstone schafften es auch Diane Abbott und Dennis Skinner, die ebenfalls dem linken Flügel angehören. Livingstone freut sich: „Das war eine politische Entscheidung. Die Parteimitglieder wählen links. Sie haben eine Warnung ausgesprochen, daß sie nicht nur zum Absegnen da sind, sondern eine eigene Meinung haben.“ Mandelson, Minister ohne Geschäftsbereich, nahm die Sache gelassen: „Natürlich bin ich enttäuscht, aber der Geschmack der Demut ist für jedermann gut und besonders für einen Politiker.“
So etwas kann in Zukunft nicht mehr passieren. Mit großer Mehrheit gab der Parteitag Blair grünes Licht für „Phase zwei der Modernisierung“: Künftig werden Abgeordnete nicht mehr von den Mitgliedern in den Vorstand gewählt, sondern von den anderen Labour- Abgeordneten – und die sind zum überwiegenden Teil Blair-Apostel. Außerdem wird ab jetzt nicht mehr der Parteitag als höchstes Gremium über die Parteipolitik entscheiden, sondern ein 175köpfiges „Politikforum“, das über die kommenden drei Jahre die politische Richtung weisen soll. Künftig wird der Parteitag nach Tory-Muster eine bedeutungslose Politshow für Öffentlichkeit und Parteibasis sein.
Solch einschneidende Veränderungen hatte es nicht gegeben, seit die Labour-Verfassung 1918 geschrieben wurde.
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