: Mandelsons Bauernopfer
■ Großbritannien: Die Labour-Partei folgt ihrem Star Tony Blair
Tony Blair wurde gestern auf dem Labour-Parteitag in Brighton erwartungsgemäß gefeiert. Im Eiltempo hat er die Dezentralisierung Großbritanniens ins Werk gesetzt. Ein strahlender Premier, zudem unbedrängt von der desolaten Opposition.
Allerdings hat er gestern auch Entscheidungen mit harten Kanten angekündigt. Sparen stehe an – und es trifft alleinerziehende Mütter, Sozialhilfeempfänger und Kranke. Blair nahm gestern oft das Wort „Fairness“ in den Mund. Doch ein wichtiges Werkzeug dafür hat er aus der Hand gegeben. Denn Labour hat die Steuer- und Ausgabenpolitik der Tories auf Punkt und Komma übernommen. So scheint Blair bereits jetzt den nächsten Wahlkampf zu planen. Mit dem jetzt Eingesparten legt er eine „Kriegskasse“ an, die er 2002 für populäre Maßnahmen verprassen kann. Denn die überwältigende Beliebtheit von „Mr. 93 Prozent“ – so viele Briten stehen hinter Blair – wird auf Dauer schwinden.
Daß Blairs engster Vertrauter Peter Mandelson von den Parteimitgliedern eine Abfuhr verpaßt bekam, war eine Warnung – mehr nicht. Ken Livingstone, der „rote Ken“, der statt dessen in den Parteivorstand gewählt wurde, hält dies für einen Beweis, daß Blair keinen Blankoscheck habe. Doch genau das hat er. Das Votum für Strukturreformen, die den Parteitag noch mehr zu einer Kosmetikveranstaltung degradieren, wird dafür sorgen, daß Livingstones Siegesrede gleichzeitig sein Schwanengesang war. 1998, wenn er sich von den Abgeordneten – und nicht mehr von den Parteimitgliedern – wählen lassen muß, hat er keine Chance.
So war Mandelsons Niederlage vermutlich sogar einkalkuliert. Mandelson, der seit 13 Jahren der Labour-Politik einen für die Öffentlichkeit und die Partei verdaulichen Dreh gibt, weiß genau, daß die Basis ihm mißtraut. So hat er sich selbst zum Bauernopfer gemacht, damit all jene, denen Blairs Reformgalopp zu schnell geht, einen folgenlosen Sieg erringen konnten.
Um so leichter hat die Partei die Reform geschluckt. Mandelsons Niederlage und die Mehrheit für die zweite Reformphase namens „Gemeinsam an der Macht“, die in Wahrheit Blairs eigene Macht verstärkt, illustrieren das gespaltene Labour-Gewissen. Parteireformen sind okay, weil man so endlich mal wieder eine Wahl gewann, aber die manipulative Art, wie sie von Mandelson und Co. durchgesetzt wurden, ist es nicht. Ralf Sotscheck Bericht Seite 4
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