: Funktionshäftling für das Terrorregime
■ Aleksandar Tisma stellt seinen jüngsten Roman „Kapo“im Literaturhaus vor
Vilko Lamian heißt die Hauptfigur in Aleksandar Tismas jüngstem Roman Kapo. Vilko Lamian war in Auschwitz, und dort war der Kroate Kapo – also einer jener Funktionshäftlinge, die den Nationalsozialisten das Vernichtungssystem betreiben halfen. Kapo ist die peinigende Selbstbefragung eines Mannes, der das KZ überlebt hat und fortan von den Erinnerungen an sein mörderisches Tun bestimmt bleibt. Der monströse Verbrecher bekennt, daß er „Menschen mit dem Knüppel den Schädel eingeschlagen, Lebende ertränkt, die Gefügigkeit ausgehungerter Frauen erkauft hatte“.
Nach dem Krieg lebt Lamian unauffällig und isoliert, niemand weiß von seiner Rolle im KZ. Doch die Erinnerung zwingt ihn zu fortwährender Beschäftigung mit seinen Taten, „begangen aus Not, aus dem Wunsch, selbst zu überleben, wofür er den Mißbrauch seiner Macht als Kapo ebenso nötig hatte wie Nahrung und Kleidung“.
Die allmähliche Selbstentblößung Lamians ist radikal. Er ist Jude, der früh dem Rat seines Vaters folgte: „Deine elterliche Herkunft mußt du vergessen, denn die Juden wird man immer ausgrenzen und verfolgen.“Mitleidlos verhält er sich gegenüber den verachteten Eltern: „Er kam zu dem Schluß, daß alle Juden in Bjelovar den Stempel der Vertriebenen, dieser aufdringlichen und von vornherein in ihre Niederlage ergebenen Fremden trugen.“
Das Suchen nach Gründen für die eigene Entmenschlichung ist „zuviel für einen Kopf, für ein Bewußtsein, darum mußte es auch ausgesprochen, zutage gebracht werden“. Aus diesem Drang Lamians erwächst die imaginierte Zwiesprache mit einem seiner Opfer, die zögerliche Annäherung an die Auschwitz-Überlebende Helena Lifka. Die Jüdin war eine der Frauen gewesen, die er sich mit Nahrungsmitteln gefügig gemacht hatte: „Er betrachtete sie nur als Fleisch, das ohnehin zum Untergang verurteilt war.“Am Ende seiner Reise zu Helena erfährt Lamian, daß sie wenige Monate zuvor gestorben ist, sein Wunsch nach Vergebung muß vergeblich bleiben.
Kapo schildert, wie ein Jude zum Werkzeug der Judenvernichtung wird und schließlich von sich sagt, er sei „ein geborener Kapo“– aus Haß auf sich selbst. Erst nach dem Holocaust ist er fähig, sein Judesein anzunehmen, „weil die Menge verschwunden war, die den Unterschied unangenehm machte“. Tismas Lamian ist ein negativer Held par excellence, ein unmenschlicher Mensch und zugleich ein Verzweifelter, der den Leser in den Prozeß des Begreifens seiner Verbrechen hineinzieht – eine bedrängende Lektüre. Frauke Hamann Aleksandar Tisma: „Kapo“, Hanser Verlag 1997, 34 Seiten, 45 Mark. Lesung: heute, 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38
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