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Inline ohne Skates

Neuer Kurierdienst in Selbstverwaltung  ■ Von Volker Stahl

Mit der Mitbestimmung hat es nicht funktioniert. Also setzen 90 Hamburger Kuriere jetzt auf Selbstbestimmung. Gestern startete mit Inline ein neuer Stadtkurierdienst, dessen Anteile vollständig von den Fahrern gehalten werden. „Das ist nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit einmalig“, betont Jan Rieck, Mitbegründer des Beteiligungsmodells.

65 PKW- und Transporter-Fahrer sowie 25 Biker haben sich in Inline zusammengeschlossen. In dieser Größenordnung ist in der Bundesrepublik noch keine Kurierfirma aus der Taufe gehoben worden. Der größte Teil der Fahrerschaft kommt von den Funkpiloten, Hamburgs drittgrößtem Kurierdienst. Dort war ein Mitbestimmungsmodell, bei dem die Fahrer 23 Prozent der Anteile gehalten hatten, im Juli nach nur einem Jahr gescheitert (taz berichtete).

„Die Interessengegensätze zwischen Fahrerschaft und geschäftsführenden Gesellschaftern waren zu groß. Das mündete in einen nicht enden wollenden Kleinkrieg“, meint Rieck, damals Mitglied der aufbegehrenden Fahrergemeinschaft. Der Aufdecker, die Zeitschrift des Dachverbandes der Hamburger Kurierfahrer, wetterte in einer Sondernummer Ende August: „Die Funkpiloten hatten eine überteuerte Geschäftsführung durchzufüttern. Viele Angestellte halten das vergiftete Betriebsklima nicht mehr aus. Das Hinausgehen aus den Funkpiloten seitens großer Teile der Fahrerschaft, die diese Art Manchester-Kapitalismus nicht weiter unterstützen wollen, scheint unausweichlich.“

Mit der Gründung der neuen Firma soll jetzt alles besser werden. Ein Drittel der Unternehmensanteile gehört dem Fahrerverein. Jeder angeschlossene Fahrer ist dort automatisch Mitglied, hat volles Stimmrecht und darf über Kilometerpreise, Funkpauschalen, Fahrerneueinstellungen und Tourenvergabe mitentscheiden. Die restlichen beiden Drittel werden von insgesamt 23 FahrerInnen gehalten. Das Eigenkapital beträgt rund 400.000 Mark. „Das macht uns relativ unabhängig von den Banken“, erläutert Rieck. Er hofft darauf, daß knapp 70 ehemalige Funkpiloten ihre alte Kundschaft mitbringen.

Der neue Kurierdienst wird von der Konkurrenz mit Argwohn beobachtet. Die meisten der rund 3500 Hamburger Kuriere sind zwar auf dem Papier selbständige Unternehmer, in den meisten Fällen aber abhängig vom Funk der Zentralen, die sich ihre Dienste mit bis zu 1400 Mark monatlich vergüten lassen. DieInline-Initiatoren werfen einigen Unternehmen vor, aus der Arbeitslosigkeit Kapital zu schlagen. Denn gerade diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt kaum noch Chancen haben, ließen sich auf die scheinselbständige Beschäftigung ein.

Das Problem der Scheinselbständigkeit beschäftigt außerhalb Hamburgs bereits die Justiz. So bestätigte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil des Berliner Landessozialgerichts. Dort hatten die Richter festgestellt, daß die meisten formal selbständigen Fahrer als abhängig Beschäftigte zu gelten hätten und somit sozialversicherungspflichtig seien. Von diesem Urteilsspruch sei Inline nicht betroffen, meint Rieck, denn „unser Modell dürfte auch einer genaueren behördlichen Prüfung der tatsächlichen Selbständigkeit standhalten, da eine umfassende Selbstbestimmung gewährleistet ist.“

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