piwik no script img

Sonst wird die Göttin zornig

■ Keine Tibet-Folklore: Zum Film "Die Salzmänner von Tibet" der Schweizer Regisseurin Ulrike Koch, der heute in die Kinos kommt

Ein Nomadenstamm in Nordtibet, auf den Hochplateaus des Himalaja, dem höchstgelegenen Weideland der Erde: Jedes Jahr im Frühling treten einige Männer mit Zelten, Proviant und einer Karawane von Tieren eine drei Monate lange Reise an. Sie gehen zu den Salzseen, „Tränen der Göttin“ genannt. Das Salz, das eine besonders gute Qualität hat und als heilig gilt, wird gegen Getreide gehandelt – eine der wichtigsten Einnahmequellen der tibetischen Nomaden. Doch hat die industrielle Ausbeutung der Salzseen längst begonnen, Lastwagen transportieren viel mehr ab, als eine Herde Yaks tragen kann. Ein großer Teil der Nomaden aber holt das Salz auf traditionelle Art, „sonst“, erklärt eine alte Frau im Dorf, „wird die Göttin zornig, und das Salz ist nicht gut“.

In „Die Salzmänner von Tibet“ läßt die Schweizer Filmemacherin Ulrike Koch die Menschen ihre Geschichte selbst erzählen. Vier Männer brechen auf zum Salzsee, ihre Rollen sind durch die Überlieferung festgelegt: Einer ist „die alte Mutter“, er kocht und weiß den Weg; der andere ist „der alte Vater“, er verhandelt mit den Stämmen, die sie auf ihrer Route treffen; der dritte ist „der Herr der Tiere“, der für die Yaks sorgt; und schließlich gibt es noch den „Neuling“, der die vielen Regeln und vor allem die geheime Sprache der Salzmänner, die nur auf der Reise gesprochen wird, lernen muß. So entwickelt der Film langsam das Netz der Traditionen, innerhalb dessen sich das Leben der Salzmänner bewegt: keine Tibet-Folklore, sondern ein kleines Kunstwerk über einen gelebten Mythos. elb

taz: Wie sind Sie auf die Geschichte der Salzmänner gekommen?

Ulrike Koch: Ein chinesischer Fotograf, der in Tibet lebt, hat mir von den Salzmännern erzählt. Entdeckt habe ich sie dann durch Zufall, in einem Dorf ganz in der Nähe einer großen Straße.

Wie haben Sie während der Dreharbeiten gelebt?

Wir hatten zwei Jeeps und einen Lastwagen für den Proviant. Jeden Abend haben wir unsere Zelte in einem gewissen Abstand zu den Salzmännern aufgeschlagen, um sie und die Tiere nicht zu stören. Das war schon recht hart. Dazu kam die Höhenkrankheit, wir waren auf etwa 4.500 Metern unterwegs – und ich war allein mit so vielen Männern.

Sie waren die einzige Frau?

Auf der Reise ja. Die Salzmänner sollen währenddessen keine Frauen treffen. Deswegen war ich auch bei den Interviews nicht dabei, sondern mußte ganz meinem Team vertrauen. Und wenn die Salzmänner zu uns kamen, um uns um etwas zu bitten, habe ich mich zurückgehalten. Ich kannte sie nur von der Vorbereitung.

Sie zeigen in Ihrem Film die Gemeinschaft der Salzmänner als eine archaische Gesellschaft. Die Moderne kommt kaum vor. Leben diese Nomaden wirklich so fernab von der modernen Zivilisation?

Das archaische und das moderne Leben sind sich in Tibet sehr viel näher als bei uns. Lhasa ist eine moderne Stadt, aber fährt man fünf Kilometer, ist der Lebensstandard schon viel niedriger. Die Nomaden kennen natürlich die Stadt, und sie wissen auch, daß es ganz schön praktisch ist, Lastwagen zu nehmen, um Salz zu holen. Andererseits ist die Vorstellung, daß das Salz, das mit Karawanen geholt wird und nicht mit Lastwagen, heilig ist, als Teil des mythologischen Weltbilds noch sehr lebendig.

Ist „Die Salzmänner von Tibet“ ein politischer Film?

Um die politischen Verhältnisse in Tibet zu erzählen, hätte ich einen Kommentar machen müssen, und das wollte ich nicht. Ich wollte die Leute in ihrer Weise sprechen lassen. Trotzdem gilt der Film in Tibet als ein sehr politischer Film. Weil es um die Freiheit geht. Nomaden haben ihre eigene Lebensform, ihren Buddhismus, ihre Bilder und Altäre. Und das wollte ich zeigen.

Und die chinesischen Autoritäten haben den Film erlaubt?

Ehrlich gesagt, nein. Wir haben lange auf eine Drehgenehmigung gewartet. Und dann haben wir einfach mit einer kleinen, digitalen Kamera gedreht und das Material danach aus dem Land geschmuggelt. Wie die chinesischen Autoritäten darauf reagieren, werde ich sehen, wenn ich das nächste Mal ein Visum für China beantrage. Interview: Elke Buhr

BRD 1997; Regie: Ulrike Koch. Kamera: Pio Corradi. fsk, Hackesche Höfe, Kino am Steinplatz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen