: Zum Abschied Stalins Werke
Als der Kalte Krieg begann: Vor 50 Jahren trafen sich – erstmals und letztmals nach 1945 – Ost- und Westautoren zum „gesamtdeutschen Schriftstellerkongreß“ ■ Von Michael Rohrwasser
Woher rührt das vor einigen Jahren heftig erwachte Interesse an dem Ersten deutschen Schriftstellerkongreß vom Oktober 1947? An den Reden, die gehalten wurden und nun in einem voluminösen Band dokumentiert vorliegen, ist eigentlich wenig Aufregendes zu entdecken. Es geht, im Pathos der frühen Jahre, um Neuanfang, Einheit des Geistes und um Aufbau. Viel ist – in militanten Bildern – von Frieden die Rede und nur wenig von Schriftstellerei. Aber das Material enthielt offensichtlich gefährlichen Stoff: Bereits Ende 1947 war eine Dokumentation angekündigt worden, dann noch einmal in den 70er Jahren, ohne daß der Band erscheinen konnte, was nicht wenig zur Mystifizierung des Kongresses beitrug. Erst nach 1989 sind die Tonbandaufzeichnungen und das legendäre 800seitige Typoskript, nach dem viele vergeblich gefahndet hatten, wieder zugänglich gewesen (wenn auch nicht für alle). Am Ende trat an die Stelle von ideologischen Vorbehalten die wirtschaftliche Erwägung des Verlages, was die Publikation erneut verzögerte. Spannend erscheint eher, wie kontrovers schon damals und dann in den Erinnerungen darüber berichtet wurde, so als wären einige Teilnehmer auf ganz anderen Kongressen gewesen. Am wiedererwachten Interesse, wofür Ruth Rehmanns Buch „Unterwegs in fremden Träumen“ (1995) stehen kann, läßt sich ablesen, wie das Geschehen von 1947 im Blick des Neuanfangs von 1989 an Aktualität gewann.
Organisiert wurde der Kongreß in der sowjetischen Besatzungszone vom Schutzverband Deutscher Autoren, vom Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, dem am letzten Tag der Konferenz die Betätigung im amerikanischen Sektor verboten wurde, und materiell wie ideell unterstützt von der Kulturabteilung der Sowjetischen Militäradministration (SMAD). Zwar war der Kongreß von allen vier Besatzungsmächten gebilligt worden, die Eröffnungsveranstaltung fand im Hebbel-Theater statt unter Anwesenheit der amerikanischen Kulturoffiziere, doch alle Arbeitsgespräche wurden in den Kammerspielen des Deutschen Theaters durchgeführt.
Unter dem Leitwort „Vom Willen zum Frieden“ berief sich Johannes R. Becher, Präsident des Kulturbundes, in seinem Versöhnungskonzept auf Matthias Claudius, Rilke und Thomas Mann. Er betonte das gemeinsame Schicksal der Deutschen, ganz gleich, ob Flüchtlinge, Kriegsgefangene oder Zuhausegebliebene. Die Politik sollte sich die Literatur nicht einfach dienstbar machen dürfen, klagte Becher, womit der Gegensatz zu den Reden von Weinert, Bredel oder Niekisch sichtbar wurde: Das Bündniskonzept wirkte im Schatten der Konfrontation von Ost und West entweder als frommer politischer Traum oder als getarntes Propagandamittel. Im September hatte der SED-Parteitag eine engere Bindung an die sowjetische Bruderpartei vollzogen, und für die publizistische Arbeit, die sich bisher unter der Ägide großzügiger Kulturoffiziere entfalten konnte, galten plötzlich restriktive Richtlinien, verschärfte Handhabungen der Lizenz- und Registrierungsverfahren – nicht nur im Osten.
Mit dem Motto der Neutralität, das in Bechers Rede erklang, war der Kongreß gegen die sich immer deutlicher abzeichnende Lagerbildung gerichtet. Und mit seiner Namensgebung war die Vision einer Kontinuität beschworen. Zu den Geladenen gehörten 283 Autoren, Verleger und Journalisten aus allen vier Besatzungszonen. Zum ersten Mal traf eine große Zahl von Autoren des Exils mit solchen der sogenannten inneren Emigration zusammen. Ausgeladen sollten nur Autoren bleiben, die in ihrer Funktion als Schriftsteller oder Journalisten das Nazi-Regime systematisch unterstützt hatten – „Halbnazis“ seien auszuschließen, „angeknackste“ dürften dagegen geladen werden, hieß die Richtlinie von Günther Weisenborn.
Jedenfalls wurde Manfred Hausmann eingeladen, Benn und Jünger dagegen nicht. Aber es fehlten auch Alfred Döblin, obwohl er in Berlin weilte, Erich Kästner oder Wolfgang Borchert, den einzuladen man einfach übersehen hatte. Theodor Plievier erschien nicht, weil er eben von Weimar nach München übersiedelte, und von den Exilautoren konnten viele nicht kommen, weil sie noch gar nicht zurückgekehrt waren. Brecht mußte beispielsweise in den USA auf seinen Termin vor dem House of Unamerican Activities warten. Bemerkenswert sind die Absagebriefe, die der Band dokumentiert, etwa der von Oskar Maria Graf, der schreibt, daß er immer noch Staatenloser sei und ihm das Geld für die Reise, ja sogar für ein Absagetelegramm fehle.
Nur wenige ausländische Delegierte waren erschienen. Hier dominierten die drei sowjetischen Autoren Katajew, Gorbatow und Wischnewski. Ins Zentrum des Interesses rückte aber ein damals noch unbekannter amerikanischer Journalist, der Korrespondent des Tagesspiegel war und für die US- Zeitschriften New Leader und Partisan Review schrieb, der 26jährige Melvin Lasky, später Organisator des Kongresses für kulturelle Freiheit und Herausgeber des Monat. Er störte das Harmoniegebot der Versammlung, weil er die Schweigeregel unter den Alliierten brach, die Attacken gegen die je andere Seite unterband. Doch die war bereits zuvor durch Oberst Tulpanow durchbrochen worden, der auf dem SED-Parteitag eine Kampfrede gegen die „amerikanischen Monopolkapitalisten“ gehalten hatte; und bevor Lasky sprach, hatten bereits Dymschitz und Wischnewski kriegerische Töne angeschlagen.
Lasky war rhetorisch geschickter. Er sprach von Unterdrückung der Literatur und griff dann die jüngste Schdanowsche Verbotskampagne gegen Leningrader Zeitschriften auf, die aktuellen Attacken gegen die sowjetischen Schriftsteller Anna Achmatowa und Michail Sostschenko sowie die Maßregelung von Sergej Eisenstein. Die propagandistische Friedensrhetorik verwandelte sich daraufhin merklich. Katajew griff Lasky auf dem Kongreß als „Kriegsbrandstifter“ an und verglich ihn mit Goebbels; Alexander Dymschitz attackierte ihn später in der Presse als „häßliche Fratze“.
Hans Mayer gibt in seinen Erinnerungen Lasky die Schuld, daß der „Geist des Kongresses“ gestorben sei. Nach Laskys Beitrag habe sich die friedliche Versammlung der Schriftsteller in eine östliche und eine westliche Fraktion geteilt. Noch diese Wendung scheint Teil eines politischen Erinnerns. Ganz anders liest sich Mayers Kongreßbericht in den Frankfurter Heften (1947). Dort schreibt er davon, daß „die Kluft zwischen Außen und Innen“ überbrückt worden sei, also zwischen Exil und innerer Emigration. Die kritische Bilanz mit dem Fazit, daß der Kongreß sich in seinem Neutralitätsbestreben nur hingeschleppt habe, wird von Mayer erst im Rückblick von 1982 eingestanden; und noch einmal, zehn Jahre später, schreibt er, der Kongreß habe nur gesamtdeutsch getan, in Wahrheit hätten die Autoren und Kulturpolitiker um Becher und die sowjetischen Kulturoffiziere dominiert.
Tatsächlich waren die Konflikte, etwa zwischen Emigranten und Autoren, die in Deutschland geblieben waren, nur mühsam überdeckt worden. Der Kongreß inszenierte mit großer Anstrengung eine Einheits- und Vereinigungsvision gegen den Schatten der aktuellen politischen Konstellationen, die sich in Konflikten zwischen Greta Kuckhoff und Elisabeth Langgässer niederschlug (einer verschärften Neuauflage des Streites zwischen Thomas Mann und Frank Thiess) oder in Attacken von Wolfgang Harich gegen Karl Jaspers. Jene Teilnehmer, die eine „babylonische Sprachverwirrung“ wahrnahmen, hatten wohl genauer gehört als jene, die in ihren Berichten ihren Traum von einem „Parlament des Geistes“ malten. Walter Kolbenhoff schreibt: „Die deutschen Schriftsteller schienen in verschiedenen Sprachen zu reden und schrien sich an, als würden sie sich im Kriegszustand befinden. [...] Sie blafften sich an, als wären sie Apparatschiks der jeweiligen Besatzungsmacht.“
Liest man also genauer, entfalten die Texte die gar nicht so fremde Stimmung des Nachkriegs, und noch in den Details ist Spannendes zu entdecken. Während in der Täglichen Rundschau die Begrüßungsrede von Alexander Dymschitz so wiedergegeben war: „Die Kräfte des Fortschritts erstarken mit jedem Tag“, wissen wir nun, daß es „die Sprache des Schwerts“ war, die mit jedem Tag erstarken sollte. Wenn ein Teilnehmer sich erinnert, daß die Besucher beim sowjetischen Empfang als Abschiedspräsent Stalins Werke erhielten (wie die Episode „in tiefer Verzweiflung“ endet, ist nachzulesen in Walter Kolbenhoffs Erinnerungen „Schellingstraße 48“), so wissen wir nun, daß es insgesamt 6,5 Kilo Sowjetliteratur waren, Stalin inklusive. Die Antwort, was das neuerliche Interesse an dem Kongreß ausmacht, kann nur heißen, daß man in den Einheitsbemühungen, Kontroversen und Stimmlagen von 1947 vertraute Töne aus der Zeit nach 1989 wahrnimmt.
„Erster deutscher Schriftstellerkongreß 4. bis 8. Oktober 1947. Protokoll und Dokumente“. Herausgegeben von Ursula Reinhold, Dieter Schlenstedt und Horst Tanneberger. Aufbau Verlag, Berlin 1997, 640 Seiten, 128 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen