piwik no script img

Keine Schwelle für die Bleifuß-Fraktion

Hamburg lehnt Forderung des Städtetages ab, Tempo 30 zur Regel zu machen  ■ Von Achim Fischer

„Kinder haben keinen Airbag“, erinnert der alternative Verkehrsclub Deutschland (VCD). Und fordert deshalb, Tempo 30 statt Tempo 50 als Regelgeschwindigkeit in Städten einzuführen. Die Mehrheit der deutschen Kommunen unterstützt diese Forderung, genauso wie das Umweltbundesamt oder wie mehr als zwanzig Kinderschutz-, Gesundheits- und Umweltverbände. Hamburg aber ist dagegen.

Dabei ist die Hansestadt seit Jahren führend in Sachen Verkehrsberuhigung. Als erste deutsche Stadt richtete Hamburg Tempo-30-Zonen ein. Auch heute noch ist sie die heimliche Zonen-Hauptstadt. Mehr als 700 Tempo-30-Zonen gibt es hier – soviel wie in keiner anderen Metropole. Auf 46 Prozent des Hamburger Straßennetzes gilt die reduzierte Höchstgeschwindigkeit – bundesweit einer der höchsten Werte.

„Hamburg wird immer als positives Beispiel angeführt, wenn es um Tempo-30-Zonen geht“, erklärt Michaela Mohrhardt aus der Bonner VCD-Zentrale. Und dennoch fühlen sich Tempo-30-Anhänger vom bisherigen Senat ausgebremst.

Der Hamburger GAL-Verkehrsexperte Martin Schmidt fordert eine „Umkehrung der Verhältnisse“. Mit dem Ortsschild sollen automatisch 30 Stundenkilometer als Höchstgeschwindigkeit gelten; auf 50 Stundenkilometer dürften Autofahrer nur auf besonders gekennzeichneten Straßen beschleunigen.

Denn die Vorteile von Tempo 30 sind – mittlerweile – unumstritten: weniger Unfälle, weniger Abgase, weniger Lärm (s. Kasten). Ebenso unumstritten ist, daß Tempo 30 nicht auf allen innerörtlichen Straßen gelten soll. Auf sogenannten „Vorbehaltsstraßen“sollen Autofahrer nach wie vor 50 Stundenkilometer rollen dürfen.

Dennoch lehnt Hamburg die Änderung ab, anders als die Mehrheit der mehr als 7.000 Kommunen, die sich im Deutschen Städtetag zusammengeschlossen haben. „Im Ziel sind wir uns einig“, versichert Jörn Lamprecht, Abteilungsleiter „Grundsatzfragen des Straßenverkehrs“in der Hamburger Baubehörde. „Es besteht nur ein Dissens in der Frage des Weges.“

Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit stoße bei Autofahrern auf „geringere Akzeptanz“, so Lamp-recht. Und „man sollte keine Regelung einführen, die die Autofahrer nicht akzeptieren“. Zudem sprächen „finanzielle Gesichtspunkte“gegen eine Neuregelung. „Wir müßten alle Tempo-30-Schilder wieder abbauen und Tempo-50- Schilder aufstellen.“

Axel Weige, Verkehrsreferent des Deutschen Städtetages, argumentiert genau umgekehrt: Autofahrer könnten die neue Regelung leichter verstehen und damit akzeptieren. „Man weiß ja oft nicht, ob man jetzt 30 fahren muß oder nicht.“Die neue Regelung dagegen sei „eindeutig und einprägsam“: Wo nichts steht, gilt 30.

Außerdem sparten die Gemeinden Geld, da sie statt vieler Tempo-30-Schilder künftig nur noch wenige Tempo-50-Schilder brauchten. Gerade Kommunen, die noch nicht so viele Zonen wie Hamburg eingerichtet haben, käme dies zugute. Am meisten Geld aber könnten die Gemeinden durch den Verzicht auf künstliche Hindernisse sparen.

Nach der heutigen Straßenverkehrsordnung fordert der Bonner Gesetzgeber noch eine „klare Abgrenzung“der Zonen, um ein „Zonenbewußtsein“zu erzeugen. Schwellen, Aufplasterungen und Verkehrsinseln sollen Bleifüßler an die geltenden Bestimmungen erinnern. Eine teure Gedächtnisstütze. 16 Millionen Mark verbuddelte beispielsweise Bonn in seiner Nordstadt – ein Gebiet etwa in der Größe von Ottensen. Frankfurt konnte aus Geldmangel von 200 geplanten Gebieten nur 70 realisieren. In Gelsenkirchen sind es bislang 40 von anvisierten 150, in Oberhausen 40 von 86. Mainz wollte sich teure Schikanen sparen. Und wurde vom Bundesverwaltungsgericht zurückgepfiffen.

„Die Gerichte und die Vorschriften des Bundes verlangen Bauwerke und keine Tempo-30-Zonen“, ärgert sich Axel Wiege, Verkehrsreferent des Städtetages. „Die meisten Städte aber halten aufgrund ihrer mehrjährigen Erfahrung weniger für mehr.“Bei reduzierter Regelgeschwindigkeit reichten auch „einfache bauliche Maßnahmen“. Am billigsten ist die Pinselvariante: In breiten Straßen lassen sich Parkplätze mit ein paar Pinselstrichen vom Gehweg auf die Fahrbahn verlegen. Kosten: ein paar tausend Mark pro Zone – anstelle mehrerer hunderttausend Mark nach der bisherigen Regelung. Weige: „Nur so ist Tempo 30 auch weiterhin finanzierbar.“

Ob als Regel oder Ausnahme – der bisherige Hamburger Senat wollte das Netz der verkehrsberuhigten Flächen ohnehin kaum mehr ausdehnen. „Eine Ausweitung der Tempo-30-Zonen ist nur noch in wenigen Fällen möglich“, schrieb die Baubehörde im Entwurf des jüngsten Verkehrsentwicklungsplanes.

GALier Schmidt ist da ganz anderer Meinung: „46 Prozent verkehrsberuhigter Straßen in Hamburg sind eine schöne Zahl“, schmunzelt der grüne Verkehrspolitiker. „Aber sie ist eine Mogelpackung. Denn von Tempo 30 ausgenommen sind die Straßen, auf denen es am wichtigsten wäre – die Hauptverkehrsstraßen. Hier gibt es die meisten schweren Unfälle, hier ist es am lautesten. Und ein Großteil der Menschen in Hamburg lebt eben nicht in den ausgeschilderten „Wohngebieten, sondern an den Hauptverkehrsstraßen“. Die Konsequenz für Schmidt: Auch die heutigen Tempo-50-Strecken müßten „überprüft“werden. „Tempo 30 auf der Stresemannstraße müßte zum Beispiel sicher bis weit nach Bahrenfeld ausgedehnt werden.“

Tempo 30 auf den meisten Strecken der Stadt sei nur mit einer Straßenverkehrsordnung zu erreichen, die 30 Stundenkilometer zur Regel erklärt, stimmt Schmidt den Plänen von VCD und Städtetag zu. Und verweist auf ein Hintertürchen: Einzelne Städte können mit „Modellprojekten“von der geltenden Verordnung abweichen. Auf diese Art und Weise hat 1982 eine deutsche Großstadt die erste Tempo-30-Zone eingeführt – acht Jahre, bevor diese Möglichkeit fest im Gesetz verankert wude. Der Name der Stadt? Hamburg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen