piwik no script img

Die Einwohner von Vlora atmen auf

In der südalbanischen Hafenstadt wurde der berüchtigte Bandenchef Zani festgenommen. Im einstigen Zentrum der Rebellion ist nach der Euphorie der Alptraum gekommen. Nun ist auch dieser zu Ende gegangen  ■ Aus Vlora Thomas Schmid

Hader Cako ist stolz wie ein Pfau. Beim letzten Besuch war der Polizeikommissar von Vlora noch ganz und gar verstockt. Kaum ein Wort war aus ihm herauszukriegen. Er wollte nicht verraten, wie viele Polizisten er in der Hafenstadt im Süden befehligt, die monatelang Zentrum des bewaffneten Aufstands war. Er wollte nicht angeben, wie viele Gefangene in den Zellen einsitzen, an denen vorbei man zu seinem Büro gelangt. Und schon gar nicht wollte er sich dazu äußern, ob Zani, der legendäre Führer der bewaffneten Banden der Stadt, sich tatsächlich längst nach Italien abgesetzt hat, wie landauf, landab behauptet wird. Immer nur zog er die Augenbrauen hoch, öffnete die Hände zu einer Geste, die „Was weiß ich?“ signalisieren sollte, murmelte dann aber: „Segreto.“ Berufsgeheimnis.

Nun ist aber Cako aufgeräumt und bester Laune. Der große Coup ist ihm gelungen. In der Nacht zum 28. September ist ihm Zani ins Netz gegangen. Zu einer Schießerei kam es nicht. Der Boß von Vlora sprang zwar mit Kalaschnikow im Anschlag aus dem ersten Stock ins Freie, um aus dem umstellten Gebäude zu entkommen, gab dann aber angesichts der polizeilichen Übermacht sofort auf, händigte die Waffe aus und gestand – von Mann zu Mann, wie es sich für einen richtigen Albaner gehört – seine Niederlage ein. Mit Zani wurden 16 weitere bewaffnete Männer festgenommen. Im Gebäude fand die Polizei Schnellfeuergewehre, Handgranaten und Dynamit. Zani selbst wurde in die Hauptstadt Tirana gebracht.

Die vom Sozialisten Fatos Nano angeführte Koalitionsregierung hat mit der Festnahme Zanis zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Sie entkräftet den wiederholt vorgebrachten Vorwurf der Demokratischen Partei des Expräsidenten Sali Berisha, die neue Regierung arbeite mit den Banden zusammen, und bezeugt der internationalen Gemeinschaft, die in drei Wochen auf der Brüsseler Geberkonferenz über die Finanzierung des Neuaufbaus Albaniens entscheidet, ihren Willen und ihre Fähigkeit, im Land wieder Ruhe und Ordnung herzustellen – Bedingung für den Geldfluß.

Vor allem aber atmet Vlora auf. Vorbei sind die Zeiten, in denen von Zani mit einer Mischung aus Ehrfurcht, Angst und Respekt gesprochen wurde, oft auch mit klammheimlicher Freude. Immerhin hat der Gangster, selbst wenn er kein Robin Hood war, doch auch die Sehnsucht vieler, vor allem junger Männer, nach Freiheit, Abenteuer und Macht verkörpert. Und daß es ihm gelungen war, sich zusammen mit dem italienischen Premierminister Romano Prodi ablichten zu lassen, hat sein Prestige nur gefördert. Jetzt aber sehen sie alle, alle nur noch den Verbrecher Zani, mit bürgerlichem Namen Mirteza Caushi.

„Ich wohne in Cole, demselben Stadtteil wie Zani“, flüstert der Kellner des Gartenlokals hinter den kirchturmhohen Männern aus Basalt, die daran erinnern, daß hier im Jahre 1912 die Unabhängigkeit Albaniens ausgerufen wurde, „Sachen könnte ich Ihnen erzählen, unglaublich, der hat sich schlimmer aufgeführt als die Deutschen.“ Und verschwindet. Nun, die deutsche Besetzung hat der junge Mann zwar nicht mitgekriegt, aber „Zani hat einen seiner eigenen Leute bei lebendigem Leib verbrannt“, behauptet der Kellner, als er wiederkommt, um zu kassieren. Namen will er nicht nennen, auch seinen eigenen nicht.

Vlora war vom Zusammenbruch der „Pyramiden“, der dubiosen Finanzgesellschaften, die den Sparern astronomische Zinsen anboten, besonders hart betroffen. Vlora ist eine Hafenstadt, und der Schmuggel mit Waffen, Drogen und Menschen florierte. Es wurde gebaut, und die Gewinne sickerten in bescheidenem Ausmaß auch in untere Gesellschaftsschichten durch. So wurde in Vlora mehr gespart und dann auch mehr verloren, vor allem als die Gjallica-Pyramide krachte, die ihren Hauptsitz in der Stadt hatte.

Vlora war die erste Stadt, in der im März nach von der Regierung provozierten Zwischenfällen bewaffnete Aufständische die Macht übernahmen. Vier Agenten des gefürchteten Shik-Geheimdienstes wurden gelyncht; die Waffenarsenale wurden geplündert, der Bürgermeister, der der Partei Berishas angehörte, suchte das Weite; das Rathaus, das Polizeikommissariat und das Gerichtsgebäude wurden in Brand gesteckt, und ein Komitee der Aufständischen übernahm die Macht. Monatelang herrschten nach Einbruch der Dämmerung die Kalaschnikows.

Seit Wochen schon ist es ruhig in Vlora. Nach der Bildung der neuen Regierung Ende Juli haben nach und nach wieder staatliche Organe in der Stadt Fuß gefaßt. Das Komitee ist auf den Rang eines machtlosen Freundschaftskreises gesunken, und die Menschen getrauen sich nachts wieder auf die Straße. Es ist schwierig, heute in Vlora jemanden im erwachsenen Alter aufzutreiben, der für die revolutionären Monate ein gutes Wort übrig hat. Als ob es die Euphorie zumindest der ersten Wochen nie gegeben hätte. Irgendwann muß der Traum zum Alptraum geworden sein, und nun ist man auch aus diesem erwacht.

Auf den Straßen Vloras sieht man auffallend viele schwarz gekleidete Frauen. Immerhin 250 Tote gab es in der knapp 100.000 Einwohner zählenden Stadt während der Unruhen. Es ist – hochgerechnet –, als ob in Berlin 10.000 Menschen erschossen worden wären. Auch Elmaz trägt Schwarz. Sie hat ihren 18jährigen Bruder verloren. „Zunächst hieß es, er sei, wie so viele, von einem Querschläger getroffen worden“, berichtet sie, „doch heute weiß ich, daß seine Geschäfte eine gegnerische Bande störten.“ Um was für Geschäfte es sich gehandelt hat, will sie nicht sagen. Sie behauptet zu wissen, wer der Mörder ihres Bruders ist. Doch den Namen will sie nicht nennen, und zur Polizei wird sie auch nicht gehen – „davon wird mein Bruder ja auch nicht lebendig“. Ihre einzige Hoffnung, sagt sie, sei Fatos Nano. Wenn es auch dem neuen Regierungschef nicht gelinge, die Leute wenigstens zum Teil für den Verlust ihrer Ersparnisse zu entschädigen, befürchtet sie neue Unruhen.

Das Parteilokal der regierenden Sozialisten, die hier die Wahlen vom 29. Juni haushoch gewonnen haben, ist eine schmucklose Betonbaracke im verdreckten Gelände hinter dem Markt. Die Parteisektion – etwa 20 Genossen, fast durchwegs im fortgeschrittenen Alter – ist zusammengekommen, um über „die neue Lage“ zu beraten. Die neue Lage besteht darin, daß man nun nicht mehr Opposition, sondern eben Regierung ist. Aus der Opposition heraus hatte die Partei die Revolte unterstützt und war im Komitee der Aufständischen stark vertreten. Nun geht es um die Abgabe der Waffen und den Wiederaufbau des Landes.

„Wir müssen Arbeitsplätze schaffen“, sagt Sejmen Gjokoli, Leiter des Sozialamts von Vlora. Vor den Unruhen haben in der Stadt 20 Joint-ventures 1.100 Menschen Beschäftigung geboten. Nicht gerade üppig. Doch immerhin. Jetzt sind 19 der Firmen verwüstet, übriggeblieben ist in der viertgrößten Stadt Albaniens allein eine Nähfabrik, in der 300 Menschen Arbeit finden. Abgesehen von den wenigen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, den Händlern und kleinen Ladenbesitzern, ist ganz Vlora arbeitslos. Das Sozialamt zahlt jeder Familie, die kein Mitglied mit Arbeitseinkommen hat, umgerechnet 30 DM pro Monat. „Zu wenig Geld für zu viele Leute“, resümiert Gjokoli, der hofft, daß das Auslandskapital investieren wird, sobald die Normalität hergestellt ist.

Bislang gibt es nur den Schein von Normalität. Denn außer einigen zerdepperten Buden, den schwarz gekleideten Frauen und einer weit verbreiteten Angst, die förmlich zu riechen ist, deutet nichts mehr auf die unruhigen Zeiten hin. Doch sind in der Stadt vermutlich noch weit über zehntausend Kalaschnikows in privaten Haushalten versteckt. Dazu kommen noch jede Menge Waffen kleineren Kalibers und Handgranaten. Bloß die schweren Waffen – Haubitzen, Minenwerfer und Panzer – sind im großen und ganzen der Regierung ausgehändigt worden. Sie lassen sich ja auch schlecht verstecken. Die „Kalasch“ hingegen, wie das Sturmgewehr sowjetischer Fabrikation mit einem Hauch von Intimität genannt wird, hat kaum einer abgegeben.

Zhaneta Lalaj, Sekretärin der Sozialistischen Partei von Vlora und Mutter zweier halbwüchsiger Töchter, findet das nicht sonderlich dramatisch. Probleme gebe es deswegen keine mehr. Nur hat die Politikerin manchmal Angst um ihre Mädchen. Die Vergewaltigungen haben in den Monaten der Unruhen rapide zugenommen. Und etliche junge Frauen sollen von bewaffneten Banden entführt und zur Prostitution im Ausland gezwungen worden sein. Etwa 5.000 Familien hätten sich dem Klima der Gewalt durch Flucht entzogen, schätzt Zhaneta Lalaj. Nimmt man an, daß in Albanien eine durchschnittliche Familie fünf Köpfe zählt, hieße das, daß ein Viertel der Bevölkerung abgehauen ist.

Auch Hader Cako, der glückliche Polizeikommissar von Vlora, meint, daß ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung geflohen ist. Ihn beschäftigen andere Flüchtlinge allerdings mehr. Jeden Abend, so schätzt er, fahren bei gutem Wetter zwei Boote mit bis zu 20 Leuten irgendwo von der felsigen Küste hinter der Stadt ins offene Meer hinaus. Tausend Dollar kostet zur Zeit der anderthalbstündige Trip ins 60 Meilen entfernte Italien. Doch was soll der Kommissar machen? Über Küstenwachboote verfügt Albanien nicht, und Republikflucht ist seit dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur kein Verbrechen mehr. Doch der Polizist will wenigstens gegen die Schlepper vorgehen, die oft auch Marihuana, das im Hinterland von Vlora inzwischen angebaut wird, hinüberschiffen.

Und fast jede Woche werden Türken festgenommen. Sie fliegen mit einer der täglichen Linienmaschinen von Istanbul nach Tirana und versuchen, über die Adria in den Westen zu gelangen. „Die schicken wir umgehend nach Asien zurück“, sagt der Kommissar, der nichts dringender wünscht, als daß Albanien endlich seinen Weg in die Gemeinschaft der Europäer findet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen