: Ausflug auf dem Theorielaster
■ Kuriose Apparate, verkopfte Comics: Jeanette Schulz zeigt in der GAK ihren „Forschungsstand“
Ganz einfach: „Das Errechnen der Quersumme eines Schlusses ist ein veränderlicher Träger. Die Wendungen des Trägers – sowie eine Quersumme von acht können vierdimensionale Räume ummanteln. Dem Schluß bleibt letztendlich ein Anhängsel“. Alles klar?
Muß auch nicht. Schließlich befinden wir uns nicht in einer Vorlesung für höhere Mathematik oder in einem Philosophieseminar, sondern in einer Kunstausstellung. Allerdings in einer recht ungewöhnlichen. Denn die Künstlerin Jeanette Schulz, die derzeit in der GAK (Gesellschaft für aktuelle Kunst) ihre Werke präsentiert, betreibt nichts geringeres als die Untersuchung und Darstellung der „Ordnungsmuster höherer Hirnfunktionen“, wie es im Katalog heißt.
Dazu kombiniert sie z.B. ähnliche Sätze wie den obigen in ihrer Serie „Indizienschachteln“mit skurril verfremdeten Alltagsgegenständen – scheinbar gänzlich zusammenhangslos. Es geht ihr um jene Denkstrukturen, die beim Erinnern, bei „Geistesblitzen“oder beim Lachen über einen Witz wirksam werden.
Wie aber kommt eine Künstlerin dazu, komplizierte neurophysiologische Vorgänge und erkenntnistheoretische Forschungen mit den Mitteln der Kunst einholen zu wollen? Ganz einfach: Sie hat neben Kunst auch Neurowissenschaften studiert und arbeitet derzeit an einer Doktorarbeit über die „Struktur und Dynamik des Komischen“. Also zeichnet sie Hirne und baut Denkmodelle, die sie nach Bazon Brock als „Theoretische Objekte“bezeichnet. Zum Beispiel das „Double Bind Modell“als Sinnbild einer durch Widersprüchlichkeit ausweglosen Situation. Oder den „Spieltisch zur Hypothese der Affektlogik“, mit dem sie der Schizophrenie- und Emotionsforschung auf sinnlich-emotionale Sprünge helfen will.
Solche Verbildlichungen versteht sie als „Gelenke zwischen Kunst und anderen Disziplinen“und scheut sich nicht, ihre – mit „state of the art“, also „Forschungsstand“betitelte – Kunst als ernstgemeinten Beitrag zu einer ganzheitlichen Naturwissenschaft auszugeben. Oder geht man einem Schalk auf den Leim?
Ihr „Kniemodell“möchte Unfallchirurgen die neueste Operationstechnik nahebringen. Eine Wandtafel für das Anatomie-Institut der Wiener Universität entwirft ein Schnittmuster, nach dem die Leichen für die weitere Präparation zerlegt werden.
Kann das, fragt man sich, wirklich ernst gemeint sein? Oder spielt die Schulz doppelbödig mit Ironie. Die Fotos jedenfalls, auf denen Professoren mit diesen künstlerischen Modellen umzugehen scheinen, als handele es sich dabei um selbstverständliche Arbeitsmittel ihrer naturwissenschaftlichen Fachgebiete, reißen jedenfalls zum Schmunzeln hin.
Ganz anders die „Comics“, in denen Jeanette Schulz sich mit dem Thema Humor beschäftigt. Hier wird es nur noch kompliziert. Schließlich ist Humor – wie wir seit Karl Valentin wissen – eine ernste Sache.
Und so stellt er sich bei dieser Künstlerin auch dar. Von „Motivkollision“, „Deutlichkeitszentren“und „Phänomenologischen Feldern“ist da die Rede, und zur Untermauerung dienen kryptisch aufeinander verweisende Bilder, die sich jedem Verständnis entziehen und lediglich in Kopflastigkeit schwelgen.
Einer Kopflastigkeit, die sich durch die ganze Ausstellung zieht und wie ein intellektueller Schutzschild wirkt. Indes, die BesucherInnen lassen sich davon nicht bluffen, wie dem Gästebuch zu entnehmen ist. „Wo bleibt die Kunst?“fragt da jemand zu Recht, während es an anderer Stelle treffend heißt: „Liebe Jeanette, wirklich nett. Bis in vier Jahren in Kassel!“
Ein Schelm, wer ob so freundlicher Worte bloß an die vielkritisierte Theorielastigkeit der diesjährigen Dokumenta denkt.
Moritz Wecker
Jeanette Schulz, „State of the art“in der GAK, Teerhof, noch bis 23. November. Öffnungszeiten: Tägl. außer Mo. 11 – 18 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen