: Sollbruchstelle Sehnsucht
■ In Wolf Christian Schröders Komödie Hechinger träumen drei Landpomeranzen vom wilden Mann alias örtlichen Volleyballtrainer
Auf dem Lande liegt der Hund begraben. Die Männer sind feige und lügen, und nie ist etwas los. Wer allerdings an der Friedhofsruhe rütteln will, muß sich nicht sonderlich anstrengen. In einer schwäbischen Kleinstadt reicht es, wenn drei junge Mädchen einen Schritt vom vorgezeichneten Weg abweichen, und schon ist eine Lawine losgetreten, die als der „Hechinger-Mythos“in die Lokalgeschichte eingehen soll.
Wolf Christian Schröders Komödie Hechinger, die am Donnerstag im TiK uraufgeführt wird, beschreibt einen Sturm im Wasserglas. Der gleichnamige Held, mit Frau und Sohn frisch aus Afrika zurückgekehrt und von dem Wunsch beseelt, ein ruhiges und mittelmäßiges Leben führen zu dürfen, wird als neuer Volleyball-Trainer verpflichtet. Eine ehrenvolle Aufgabe in einer Stadt, in der ein Sportverein das standesgemäße Betätigungsfeld der örtlichen Honoratioren schlechthin darstellt. Seine Pläne werden aber gründlich durchkreuzt: Thea, Maike und Isa haben in Hechinger den „wilden Mann“ihrer Träume erkannt. Ihr erster Mann soll er werden, draußen im Wald am besten, und weil sie Freundinnen sind und es unter all den zahmen Lügnern und Betrügern nur einen Hechinger in der Stadt gibt, beschließen sie eben, sich ihn zu teilen.
Mädchenphantasien, die nie in Erfüllung gehen würden, wenn der Mann wirklich der brave, mittelmäßige Familienvater wäre, der er sein will. Doch Hechinger hat eine Sollbruchstelle: Wenn er lange genug provoziert wird, dreht er durch. Und so geschieht das Unmögliche. Mitten im Wald haust plötzlich ein wilder Mann mit drei Mädchen in einer Laubhütte, und der Ort hat seinen eigenen Jahrhundertskandal.
Hechinger sei ein kurzer Versuch, eine nicht instrumentalisierte Liebe zu leben, erklären Regisseur Jens Schmidl und Dramaturg Niklaus Helbling. Ihre Komödienversuchsanordnung spielt mit der Utopie vom selbstbestimmten Dasein und mit dem Paradox der scheinbar unmöglichen Mittelmäßigkeit. Dabei, so die Männer, würden die abgerissene Sprache und die holzschnittartig gezeichneten Figuren dem Stück einen besonderen Reiz verleihen und dem gelebten Traum einen Freiraum bieten.
Wenigstens für einen Augenblick, denn tatsächlich wissen die Mädchen genau, was ihnen blüht: Maike wird das Baugeschäft ihres Vaters übernehmen, und auch den anderen beiden bleibt nichts anderes übrig, als sich der verschnarchten Gewöhnlichkeit zu stellen. Aber wenigstens haben sie einmal erfahren, wie einfach es ist, einen wilden Mann zu kriegen.
Schwierig sei es, der eigenen Durchschnittlichkeit ins Auge zu blicken. Das meint jedenfalls Wolf Christian Schröder. Schwierig ist es auch, Männerphantasien über Mädchenträume auf die Bühne zu bringen. Aber unmöglich muß es nicht sein.
Barbora Paluskova
Premiere: Donnerstag, 9.Oktober, 20 Uhr, Thalia in der Kunsthalle
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