piwik no script img

„Ein Streik ist was Schönes.“

■ Harald Schmeling jagt ausbeuterische Reeder / In Bremen hat der Gewerkschafter 133.000 Dollar für Seeleute erkämpft

„Gibt es was Schöneres als Menschen eine Freude zu machen?“Verschmitzt lächelt Harald Schmeling, seine Augen blitzen. Der Schleswig-Holsteiner wirkt zu sanft für einen knallharten Streikagitator. „Ich mach keine Himmelfahrtskomandos. Ich verhelfe meinen Seeleuten nur zu ihrem Recht“, meint er bescheiden. Und zu ihrem Geld. Auf seiner Stippvisite in Bremen hat der Inspektor der Internationalen Transportarbeiter Gewerkschaft (ITF) 133.000 Dollar für zwei Crews, bar auf die Hand, herausgeschlagen.

Zuerst erwischte es den Eigner des Erzfrachters Babylon vor dem Bremer Stahlwerk. Für 1,80 Dollar Stundenlohn zwang der Reeder die philippinischen Matrosen, selbst das Erz zu löschen. Dabei hatten die Philipinos einen Tarifvertrag in der Tasche, der garantierte ihnen eine Mindestheuer. Der Reeder bezahlte trotzdem Billiglöhne. Zufällig stattete Schmeling dem Frachter einen Besuch ab. „Wenn ein Reeder so dumm ist, dann ist das Problem schnell gelöst“, grient der Gewerkschaftssekretär. Ergebnis: die Reederei mußte umgehend 67.000 Dollar an Bord schaffen, um der Mannschaft die Differenz zum Tariflohn auszuzahlen.

Der zweite Einsatz in Bremen war schwieriger. Eine russische Reederei zahlte der Crew des Frachters Kemerovo regelrechte Hungerlöhne. 20 Mann der 25köpfigen Besatzung entschlossen sich auf dem Weg nach Bremen zum Streik und baten die ITF um Betreuung (die taz berichtete). Dank der ITF mußte der Reeder 66.000 Dollar nachzahlen. Das war genau an Schmelings 57. Geburtstag. „Wenn man bedenkt, daß den Seeleuten nach unseren Tarifvorstellungen 220.000 Dollar zugestanden hätten, versteht man, wieviel Reeder durch miese Tricks verdienen können“, sagt Schmeling. Nur bei den Personalkosten und dem technischen Standard der Schiffe können Reedereien nennenswerte Summen einsparen, zu Lasten der Mannschaft und der Sicherheit auf See. Da kommt es vor, daß Reedereien sich die Heuer gleich ganz sparen. Schmeling berichtet von einem Frachter in Rotterdam, auf dem die Crew aus der Sahelzone nur gegen Kost und Logis arbeitete.

Von Rotterdam aus macht Schmeling seit über 20 Jahren Jagd auf Schiffe unter Billigflaggen, im Auftrag der ITF, dem internationalen Dachverband nationaler Transportgewerkschaften.

Billigflagge bedeutet: ein Reeder läßt sein Schiff nicht unter seiner nationalen Adresse fahren. Damit will er der national zuständigen Gewerkschaft den Zutritt zum Schiff verwehren. Außerdem umgehen Reeder so national geltende Arbeitsgesetze. Die sind in Deutschland nun mal schärfer als in Vanuatu im Pazifik, wo es überhaupt keine Gewerkschaft gibt. „Für die Seeleute bedeutet das weniger Heuer, schlechte Arbeitsbedingungen, ungeregelte Arbeitszeit weniger Versicherungsschutz“, meint Schmeling. Oft fehlt Billigcrews jegliche seemännische Ausbildung. Um Seeleute weltweit vor solchen Verhältnissen zu schützen, ist die ITF vor 100 Jahren gegründet worden. „Viele Reeder nutzen jede Chance, Seeleute über den Tisch zu ziehen“, weiß Schmeling, auch wenn ihm weiße Schafe in der Branche einfallen.

Der Gewerkschafter kennt seine Pappenheimer. Vom Moses (Schiffsjunge) bis zum Kapitän hat er seit 1957 alle Decksklassen an Bord durchlaufen. Seit August hat der Gewerkschafter schon 80 Schiffe in europäischen Häfen auf ihre Seriosität hin untersucht. „Wir tauschen international Informationen über Schiffe und Eigner aus. Haben wir Tarifverträge mit Reedereien, dann dürfen wir jederzeit das entsprechende Schiff kontrollieren. Andere Schiffe besuchen wir und fragen die Mannschaft an Bord nach ihren Arbeitsbedingungen. Am einfachsten ist es, wenn uns eine Crew an Bord holt, um in einem Arbeitskonflikt zu vermitteln“, erklärt der Gewerkschafter.

Selbst wieder zur See zu fahren reizt Harald Schmeling nicht mehr. „Man sieht zu viel Mist“, meint er. Allerdings: wenn es ein moderner Supertanker wäre, mit einer internationalen Crew und astreinen Verträgen für die Mannschaft, „das wär's“. Thomas Schumacher

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen