: Geschäfte mit Hoffnung Bohrinsel
■ Sie hofften auf einen Job in der Nordsee, bekamen aber von Bremer Agentur für 117 Mark nur wertlose Papiere / Polizei ermittelt, Verbraucherschützer warnen / Ex-Beschäftigte packt aus
hr Ehemann hatte Annegret Kaller* prophezeit: „Du landest mit deiner Arbeit bei North-Sea noch im Knast.“Die Arbeitslose, die ihren Lohn – wie viele Telefonistinnen bei der „Werbeagentur North-Sea GmbH“– „steuerfrei“und neben der Stütze vom Arbeitsamt kassierte, kam dem zuvor. Deshalb hat sie jetzt ihren Job bei der Agentur aufgegeben, die in Zeitungen bundesweit inseriert: „Arbeiter für die Nordsee gesucht.“Solche Arbeitsplätze auf Ölbohrinseln gibt es jedoch nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes und der Polizei überhaupt nicht.
Kallers persönliche Bilanz: „Da werden doch nur Männer abgezockt, die eine Stelle suchen.“Wie sie und 13 Kolleginnen das taten, berichtete sie jetzt der taz. Wochenlang gab sich Annegret Kaller wahlweise als Frau Müller, Meier oder Schulze aus, wenn das Telefon klingelte und jemand mehr über einen vermeintlichen Job auf einer Öhrbohrinsel in der Nordsee wissen wollte. „Aus Sicherheitsgründen.“Auch die wahre Adresse der Firma in der Fritz-Thiele-Straße 5a gab am Telefon niemand preis – eine Vorsichtsmaßnahme gegen Steuerfahndung, Presse und verärgerte Kunden. Denn die könnten ja Ärger machen, sobald sie merken, daß sie gut 100 Mark Nachnahme für eine wertlose Billigbroschüre gezahlt haben, anstatt eine Chance auf einen mit mindestens 500 Mark am Tag bezahlten Job vermittelt zu bekommen. Zahlreiche Schreiben von Anwälten, die der Agentur „Täuschung“vorwerfen und die rund 100 Mark Nachnahme zurückfordern, blieben bislang unbeantwortet.
Der Nepp von arglosen Arbeitssuchenden ist nicht alles, was Kaller aus dem Innern der Agentur berichtet. Wochenlang hat sie hinter heruntergelassenen Jalousien gearbeitet, sagt sie. Daß viele ihrer Kolleginnen ebenfalls illegal bei der Firma beschäftigt waren, daran zweifelt sie nicht. „Die Personalpapiere der Telefonistinnen lagen doch nur in der Schublade, falls mal jemand zum Prüfen reinschneit. Dann hätte man gesagt, wir sollten gerade angemeldet werden.“
Selbst mit einem Bußgeld könnten die Firmenbetreiber leben. Nach der Überschlagsrechnung der Ex-Mitarbeiterin bringt jeder Arbeitstag der North-Sea GmbH rund 25.000 Mark an Nachnahmegebühren ein. Annegret Kaller allein schrieb täglich gut 20 Namen von Männern auf eine Liste, die an einer Arbeitsvermittlung auf eine Bohrinsel interessiert waren. Wenn noch ein Dutzend anderer Frauen das gleiche tun, kommt diese Summe zusammen, schätzt sie.
Vor diesem Hintergrund wundert es sie heute auch nicht mehr, daß die beiden Männer, die als Chefs der Firma meist im Doppelpack auftraten, sich darüber stritten, wohin sie das Geld fließen lassen sollten. Auch Gerüchte innerhalb der Belegschaft, daß ein als „Herr Mertins“auftretender Chef ein Kreditvermittlungsbüro in Delmenhorst gründen wolle, hält sie für glaubwürdig. Allerdings: „Ob der Chef wirklich Mertins heißt? Wie soll ich das wissen? Nach seinem Personalausweis habe ich ihn nie gefragt.“
Dieter Lang, Jurist beim Berliner Verbraucherschutzverein wundert sich kaum über derartig abenteuerliche Geschichten. Wenn er das Wort „Bohrinsel“hört, geht bei ihm aus mehreren Gründen ein rotes Warnlämpchen an. Als Vermittlungsfirmen wie die North-Sea vor Jahren erstmals Hochkonjunktur hatten, ermittelten deutsche Behörden: „Es gibt keinen Bedarf an europäischen Arbeitskräften. Weder vor Norwegen noch auf anderen europäischen Ölbohrinseln.“Schon lange warnt Lang deshalb vor derartigen Jobangeboten. „Niemand vermittelt einen Arbeitsplatz für Geld, so wie diese Firmen es angeblich tun.“
Daß sich das Geschäft mit der Naivität und der Not der Arbeitslosen dennoch lohnt, schließt der Verbraucherschützer aus den zahlreichen Mahnungen wegen „irreführenden Wettbewerbs“, die er in den letzten fünf Jahren an ähnliche Firmen schrieb.
Dabei ist er sicher, daß die bundesweit 60 geahndeten Fälle nur die Spitze des Eisbergs sind. Er gibt zu: Auch nach seiner Mahnung würde der North-Sea nicht mehr als eine teure Gebühr drohen – für den Fall, man würde der Firma eine Wiederholung der Vergehens nachweisen. Bis ein solches Verbot gegen die Bremer North-Sea aber überhaupt greifen könnte, würde es Monate dauern. Bereits seit Wochen ermittelt unterdessen die Bremer Polizei gegen die Firma – die bis gestern ihre „Beratungstätigkeit“ungehindert fortsetzte. caker
*Name von der Redaktion geändert
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