Die richtigen Ideen zur richtigen Zeit

■ Berlin ist auf dem Weg, zum Multimediazentrum zu avancieren

Jürgen Below von der Unternehmensberatung Kienbaum ist sicher, daß er in der richtigen Stadt arbeitet. In keiner anderen Region würden so viele Betriebe der Telekommunikations- sowie Multimediabranche gegründet wie hier und nirgendwo die Trends besser aufgenommen. „Berlin ist absolut führend“, meint Below. Mit der Spezialisierung ihrer hiesigen Filiale auf Telekommunikation sitze Kienbaum deshalb genau am richtigen Ort.

Die Region Berlin-Brandenburg weist in der Tat eine große Zahl von Unternehmen der modernen Branchen auf, die seit Mitte der 80er Jahre gegründet wurden. Die Multimedia-Agentur Pixelpark – sie existiert seit 1991 und gilt schon jetzt als Branchenführer – entwirft mit 130 Beschäftigten Werbe- und Marketingkampagnen im Internet für Firmen wie adidas. Bei der digitalen Telekommunikationstechnik ISDN, die die Transportkapazität der Telefonleitungen vervielfacht, sitzen nach Einschätzung von Below gar die drei weltweit führenden Firmen in Berlin: AVM, Acotec und die Teles AG entwickeln Soft- und Hardware für Telefonanlagen und Computer.

Mehrere günstige Umstände bereiten den modernen Dienstleistern an der Spree den Boden. Seit dem Baubeginn des Innovations- und Gründerzentrums (BIG) im Wedding 1983 investierten Senat und Bund dreistellige Millionenbeträge in die Förderung von Existenzgründungen. Nach 1989 wurden im Stadtgebiet über 60.000 Kilometer leistungsfähige Glasfaserleitungen verlegt, so daß die Stadt über eines der modernsten Datennetze Europas verfügt.

Der Boom des Internets und die schrittweise Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte brachten außerdem just in der Phase Tausende von neuen Geschäftsideen hervor, als die Stadt infolge des industriellen Zusammenbruchs in die noch immer herrschende Wirtschaftskrise rutschte. Heute arbeiten nach Angaben des Senats in den 7.000 Betrieben der „Medientechnik“ etwa 90.000 Menschen. Auf den engeren Software- und Telekommunikationsbereich dürften 20.000 bis 30.000 Stellen entfallen. Dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die modernen Dienstleister den Wegfall von 280.000 Industriearbeitsplätzen seit 1989 auf absehbare Zeit nicht zu kompensieren in der Lage sind. Nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wird die Beschäftigtenzahl von 1,667 Millionen 1991 auf etwa 1,5 Millionen im Jahr 2010 sinken.

Im Verleich zur Industrie gewinnen die neuen Branchen dabei an Bedeutung. Waren 1991 erst 375.000 Menschen in produktionsorientierten Diensten (Software, Grafik, Entwicklung) und konsumorientierten Diensten (Altenpflege, Gaststätten) beschäftigt, könnten es 2010 rund eine halbe Million Menschen sein. Die privaten Dienstleistungen hätten dann von rund 23 Prozent auf mehr als ein Drittel im Verhältnis zur Gesamtbeschäftigung zugenommen.

Der Rückstand zu anderen Regionen freilich wird sich nur langsam verringern. Denn heute liegt der Anteil der privaten Dienstleistungen in Berlin nach Angaben des Wirtschaftssenators fünf bis zehn Prozent unter den Vergleichszahlen für Hamburg, Köln und München. Hannes Koch