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Kubas Sozialismus in der Schuldenfalle

Der Aufschwung ist vorbei, die Reformen stagnieren, der Parteitag beschwört die „Opferbereitschaft des Volkes“  ■ Von Bert Hoffmann

Berlin (taz) – Die Aufschwungs- Euphorie dauerte nicht lange. Nicht einmal ein Jahr ist es her, daß die kubanische Regierung das „kubanische Wirtschaftswunder“ verkündete: Für 1996 meldete man ein Wachstum von satten 7,8 Prozent, die „höchste Wachstumsrate in Lateinamerika“, „eine kolossale Heldentat“, so Wirtschaftsminister José Luis Rodriguez.

Wo der Zusammenbruch der sozialistischen Handelspartner in Europa Kubas Ökonomie in eine flächendeckende Existenzkrise gestürzt hatte, pries sich das Land nun den ausländischen Investoren als „karibischer Tiger“ an. Kuba, so das Signal, konnte der immer weiter verschärften Embargo-Politik der USA nicht nur widerstehen, sondern ihr zum Trotz auch seine Krise überwinden und neue Entwicklungspläne schmieden. Selbstredend wurde das von den Statistikern gemeldete Wirtschaftswunder für die Parteiführung auch zum Beweis dafür, daß Kubas Staatssozialismus nicht mehr Reformen brauche als jene sehr begrenzten Öffnungsschritte, die die Regierung bislang zugelassen hat.

Inzwischen herrscht Katerstimmung. Beim V. Parteikongreß der kubanischen KP, der gestern eröffnet wurde, ist das Leitmotiv nicht eine etwaige Verbesserung der Wirtschaftslage, sondern das heroische Durchhalten, so widrig die Umstände auch sein mögen.

In der Tat ist es keineswegs ausgemacht, daß die KubanerInnen das Ärgste hinter sich haben. Kuba steckt in einer Schuldenfalle, die jetzt zuschnappt. Denn das Krisenmanagement der letzten Jahre war teuer erkauft. Kubas Auslandsverschuldung in harter Währung stieg von 9 Milliarden US-Dollar 1994 auf 10,5 Milliarden 1995 und 12 Milliarden 1996. Schon 1986 konnte Kuba seine damaligen Devisenschulden nicht mehr bedienen – seither gilt es im internationalen Bankengeschäft als nicht mehr kreditwürdig, und so werden die Bedingungen für „fresh money“ immer härter. IWF und Weltbank kommen für Kuba als Finanzquellen eh nicht in Frage: Zum einen, weil Kuba gar nicht Mitglied ist, zum anderen, weil die Blockade-Politik der USA jegliche Geschäftsbeziehungen dieser Finanzinstitutionen mit Kuba torpedieren würde.

Das Debakel der letzten Zuckerrohrernte nun war das für alle sichtbare Alarmsignal: Nicht mehr als im Vorjahr, sondern 200.000 Tonnen weniger brachte man ein. Kubas noch immer mit Abstand wichtigstes Exportprodukt fiel damit wieder zurück auf gerade die Hälfte dessen, was man 1989 produziert hatte. Dabei hatte der kubanische Staat internationale Kredite mit kurzer Laufzeit und bis zu 18 Prozent Zinsen aufgenommen, um Treibstoff und Düngemittel, Herbizide und Ersatzteile für die Erntemaschinen kaufen zu können. Zurückgezahlt werden sollten die Kredite aus den erhofften Produktionszuwächsen.

Gleichzeitig jedoch brachten die Hardliner im kubanischen Apparat die vor drei Jahren zögerlich in Gang gesetzte Reform der kubanischen Binnenwirtschaft fast gänzlich zum Erliegen. Teilweise wurde sie sogar wieder zurückgedreht. So wurden etwa für die Zuckerrohrschnitter die wichtigsten der zuvor eingeführten materiellen Leistungsanreize wieder abgeschafft und durch moralische Appelle, Aufrufe zur Arbeitsdisziplin und verstärkte Kontrollen ersetzt. Nicht alle in Kuba hat es gewundert, daß in der Folge die Ernteerträge nicht die erhoffte Steigerung, sondern einen Rückgang brachten.

Zurückgezahlt werden müssen die teuren Dollar-Kredite trotzdem – und mehr noch, gleichzeitig muß das Land nach neuen Kreditlinien für die nächste Ernte suchen, denn ohne die importierten Treibstoffe und Düngemittel dürfte diese noch schlechter ausfallen.

Die Devisen- und Verschuldungskrise beschränkt sich dabei keineswegs auf den Zuckersektor. Zwar steigen seit einigen Jahren tatsächlich die Exporte des Landes – doch die Importe wachsen noch schneller. 1996 führte Kuba Waren im Wert von fast zwei Milliarden US-Dollar aus, aber Waren im Wert von 3,9 Milliarden Dollar ein – eine Differenz, die weder die millionenschweren Überweisungen der Auslandskubaner an ihre Verwandten auf der Insel noch die Einnahmen aus dem Tourismus ausgleichen konnten.

Zumal auch Kubas Tourismusindustrie selbst in hohem Maße importabhängig ist: Schätzungen zufolge bleiben von jedem eingenommenen Dollar gerade einmal 30 bis 40 Cents im Land – der Rest geht gleich wieder für den Import von Heineken-Bier und Surfbrettern, Klimaanlagen und japanischen Reisebussen drauf.

Es ist klar, daß diese Strategie des sozialistischen Krisenmanagements per Verschuldung bei kapitalistischen Gläubigern nicht grenzenlos fortführbar ist. 1996 jonglierte Kuba mit nicht weniger als 2,4 Milliarden US-Dollar an kurzfristigen Kreditschulden, die ständig umgeschichtet werden mußten. Inzwischen drohen die aufgestaute Verschuldung und das chronische Leistungsbilanzdefizit in eine akute Liquiditätskrise des kubanischen Staates umzuschlagen. Kubas Wirtschaftsminister José Luis Rodriguez mußte wenige Wochen vor dem Parteikongreß einräumen, daß sich die externe Finanzsituation des Landes „in nicht vorhergesehenem Maße verschlechtert“ habe, und daß diese Situation wohl auch das kommende Jahr prägen werde.

Heute ist Kubas Schuldenberg gegenüber dem kapitalistischen Ausland doppelt so groß wie 1986, als das Land zuletzt in eine offene Schuldenkrise geraten war. Kuba hatte damals de facto seine Zahlungsunfähigkeit erklärt und einseitig Zins- und Tilgungszahlungen eingestellt – mit der Folge, daß der Handel mit den westlichen Staaten weitgehend zusammenbrach und sich Kuba noch stärker auf die sozialistischen Handelspartner konzentrierte. Solch ein Ausweg steht heute nicht zur Verfügung.

Die Regierung hat bereits angedeutet, die Importe erheblich zusammenzukürzen. Die Einfuhren für die Exportsektoren und den Tourismus werden dabei weitgehend tabu bleiben – um so drastischer drohen die Einschnitte bei der Versorgung der Bevölkerung zu werden. Kritische Ökonomen der Kommunistischen Partei warnen bereits, daß dies „den Konsum der Bevölkerung in einem Maße reduzieren könnte, wie es politisch nicht ratsam ist“. * Die Alternative zu einer derartigen Roßkur wäre ein wirtschaftliches Reformprogramm, das echte Anreize für die Bauern und Kooperativen schafft, die darniederliegende Nahrungsmittelproduktion selbst wieder anzukurbeln. Wie das geht, haben die vor drei Jahren eingeführten Bauernmärkte gezeigt: Sie haben die Versorgungslage in den Städten spürbar verbessert, die Preise auf dem Schwarzmarkt nach unten gedrückt und zu einer Erhöhung der Produktion in etlichen Bereichen geführt.

Seit bald zwei Jahren jedoch liegt auch hier der Reformelan auf Eis. Nicht eine geplante und kontrollierte Ausweitung hat die Parteispitze auf die Tagesordnung gesetzt, sondern den ideologischen Kampf gegen eine „kleinbürgerliche Geschäftemacher-Mentalität“, die „keine Quelle sozialistischen Bewußtseins“ sei.

Die Wachstumsraten für dieses Jahr sind inzwischen längst nach unten korrigiert worden. Die Stromsperren in Havanna, die in den letzten Jahren reduziert worden waren, nehmen wieder zu. Die Bevölkerung wird auf harte Zeiten vorbereitet. Der Programmentwurf der Parteiführung für den KP-Kongreß spricht nicht mehr von Aufschwung und Wirtschaftswachstum. „Die Liste der Probleme ist enorm“, heißt es statt dessen: Die diversen Einschränkungen haben „den heroischen Willen unseres Volkes auf die Probe gestellt, das mit Opferbereitschaft und in stoischer Haltung diesen Nöten Widerstand leistet“. Es gilt als sicher, daß die Delegierten den heroischen Willen des kubanischen Volkes einmütig beschließen werden.

„Angesichts unserer harten Realität ist es das einzig patriotische und revolutionäre Verhalten, mehr und besser zu arbeiten“, formuliert der Programmentwurf. Solange der Staat dieses einzig patriotische und revolutionäre Verhalten mit Monatslöhnen zwischen umgerechnet 10 und 20 US-Dollar honoriert, dürfte seine Überzeugungskraft begrenzt bleiben. Im Volksmund kursiert seit langem ein anderer Satz: „Der Staat tut so, als ob er uns bezahlt. Wir tun so, als ob wir arbeiten.“

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