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Ärger über Geschäft mit dem Geschäft

■ Was Senat und Toilettenfirma Wall freut, ärgert die Bezirksbürgermeister: Großflächige Werbetafeln im Gegenzug für High-Tech-Klos. Sie befürchten eine Verschandelung der Stadt

Sie hatten sich das alle so schön vorgestellt. Der Senat und die Berliner Stadtreinigung (BSR) hatten ihre Hoffnung auf ein menschliches Bedürfnis gesetzt: Sämtliche Toilettenhäuschen sollten allmählich an die internationale Firma Wall Verkehrsanlagen übergeben werden, die künftig für die dringenden Geschäfte der Berliner zuständig sein sollte. Bereits 1993 begann Wall mit der Umgestaltung der ersten der insgesamt 285 öffentlichen Toiletten in musikberieselte moderne Bedürfnisanstalten mit behindertengerechter Ausstattung. Im Gegenzug bekam Wall Werbeflächen zugesichert.

Doch das Geschäft mit dem Geschäft stößt auf Widerstand. Nachdem der Senat im Sommer mit Wall einen Vertrag über die Übernahme der letzten 174 Toilettenhäuschen unterzeichnet hat, fühlen sich die Bürgermeister vom Senat hintergangen. Denn in dem Papier haben sich die Verhandlungspartner darauf geeinigt, daß Wall die Stadt großflächig mit Werbeflächen bedecken kann. 115 Billboards – auf Säulen ruhende, weit sichtbare Leuchttafeln.

Die Bezirksbürgermeister befürchten eine Verschandelung der Stadt. Das laufe sämtlichen städtebaulichen Grundsätzen zuwider, meint die Schöneberger Bezirksbürgermeisterin Elisabeth Ziemer (Bündnis 90/Grüne). Sie warnt vor „amerikanischen Verhältnissen“ entlang von Hauptverkehrsstraßen. Zwar habe der Senat schon 1993 versichert, daß die Werbungen nur am Rande von Wohngebieten oder großen Einkaufszentren auftauchten. Doch tatsächlich findet man Walls Leuchtreklamen auch an zentralsten öffentlichen Plätzen. „Es ist eine Illusion zu glauben, daß die irgendwo im letzten Eck werben.“

Der Vorschlag der Bürgermeister: Alternative Kleinstbetreiber wie Kioskbesitzer könnten engagiert werden, oder die restlichen Toiletten könnten an Einzelunternehmer verpachtet werden. „Die können im Senat viel beschließen, solange sie sich nicht mit den Bezirken abgesprochen haben“, so Ziemer. Die Bürgermeisterin hofft, daß sich die Bezirke weder von Wall noch vom Senat über den Tisch ziehen lassen. „Wir müssen uns einig sein und das politisch ablehnen“, betont Ziemer.

Bei Wall gibt man sich derweil gelassen. „In allen Bezirken hoffen sie auf weitere Toilettenhäuschen“, sagt Pressesprecher Dirk Zeigert. Zumal die BSR auf Anweisung des Senats derzeit nur noch 60 WCs entlang von Straßen betreibe. Außerdem gebe es in Deutschland niemanden, der den von Wall gebotenen Standard liefern könne. Eine Ablehnung in den Bezirken fürchtet Zeigert daher nicht: „Die wollen die Toiletten haben.“ Tilman Weber

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