: Gegen das Abmauern und Einebnen der vorhandenen Konflikte
■ betr.: „Antisemitismus aktuell“, taz vom 25.9. 97, „Fremdenhaß gibt es auch auf der Alb“, „Man fred Stolpe nimmt Gollwitz in Schutz“, taz vom 2.10. 97
Die der Bundesrepublik Deutschland beigetretenen Gollwitzer haben offensichtlich nicht genau hingeschaut, welchem neuen Deutschland sie beitraten. Anderenfalls hätten sie doch lieber die Rote Armee nach Rußland begleiten sollen und die jüdischen Einwanderer nicht diesen entsetzlichen Ärger mit unverbesserlichen Teutonen gehabt.
[...] Sie wollen keine Westdeutschen, sie wollen keine Rückkehr der auch von einigen unter ihnen vertriebenen Sowjetzonenflüchtlinge und ihrer Erben. Was wollen sie eigentlich im freien Deutschland, das nur ein Teil des freien Europas ist – und auch nicht mehr. [...] Peter H. Kort, Düsseldorf
Lieber Fritz Beer,
lieber Uwe Westphal,
ich begrüße Ihren Offenen Brief an M. Stolpe (Gollwitz-Affäre). Das Beschwichtigen und weltmännische „In-Ordnung-Bringen“ läßt sich beim derzeitigen Ministerpräsidenten von Brandenburg auch an anderer Stelle gut beobachten. Das Wir-Gefühl („Wir Brandenburger, wir Ostdeutschen“) darf nicht beschädigt werden. Dabei konserviert gerade diese Haltung (auf dem Hintergrund zweier totalitärer Diktaturen) das eigentliche Problem: Es gibt keine ehrliche und weitreichende Diskussion über die vielfältigen Folgen von Eingesperrtheit, Militarismus, Abhängigsein und Verbrechen der Vergangenheit. Vieles bleibt in Ritualen stecken oder hat ein seltsames gutes Gewissen: der „verordnete Antifaschismus“ (Giordano) der Ex-DDR-Erziehung wirkt weiter. Der antiwestliche Reflex der Nationalsozialisten und stalinistischen Kommunisten hockt mental in vielen Köpfen. Die Wirren der Welt und des Alltags, auch Kriminalität und eigene Sorgen, lassen sich natürlich auch in der westdeutschen Provinz beobachten. Aber die spezifische Zugabe ist doch, was sich mit „Russenmafia“ und „Juden“ verbindet in diesem Gollwitz (und anderswo): Auch die ideologische Entwertung des Ostens/die ideologische Dauerfeier der heldenhaften Sowjetunion. Auch der tief sitzende historische Antisemitismus/die DDR- spezifische Entwertung der „Zionisten“ und des Staates Israel.
Ich bin dafür, endlich die Diskussion zu öffnen. Aus dieser authentischen Position müßte die eigene und die internationale Erfahrung besprochen werden. Die Bürger aus Gollwitz und anderswo könnten viel mitbekommen über die Welt „draußen“, wenn sie eine solidarische Nähe eingehen würden zu „Fremden“. Wenn sich darunter Straftäter befinden sollten, besteht keinerlei Anlaß, sie nicht zu bestrafen.
Ich beobachte aber Beschwichtigungen und pseudotherapeutische Obrigkeitshaltung („Unsere Menschen haben das nur noch nicht richtig verstanden“). Begegnung in Augenhöhe steht an. Wenn aber der Ministerpräsident des Landes jahrzehntelang in konspirativen Wohnungen verkehrte und bis heute über vieles schweigt, ist schon klar, welche „Vorbildwirkung“ existiert...
Kürzlich schoß in Berlin-Moabit ein Mann mit scharfer Munition auf spielende Kinder aus sechs Nationen. Ihr Ballspiel hatte ihn gestört. Bei der Verhaftung des Täters (zum Glück konnten die Kinder hinter eine Mauer flüchten), drohte er, „alle Ausländer umzubringen“ und bezeichnete sich als „unschuldigen, arbeitslosen Maurer, der im Osten im Knast saß“. Da er Alkohol getrunken hatte, wurde ein Vollrausch bescheinigt. Zwar bekam er eine Gefängnisstrafe, aber das umfangreiche Waffenarsenal zu Hause, darunter ein Hakenkreuz, und die Ausländerfeindlichkeit wurden vor Gericht nicht thematisiert. Man spielte herunter. Ich kannte die meisten betroffenen Kinder und war auch bei der Gerichtsverhandlung. Erst acht Tage nach der Tat gab es einen Pressebericht (Radio MultiKulti) ... Ich hatte beim Sender angerufen ... Ich sage das, weil die öffentliche Diskussion unverzichtbar ist und ankommen muß gegen dieses Abmauern und Einebnen der wirklich vorhandenen Konflikte. Jürgen Fuchs
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