Die unheimliche Konsequenz der Schleyer-Entführer

■ Stefan Wisniewski, wegen der Schleyer-Entführung verurteilt, erklärt in seinem ersten Interview aus dem Gefängnis heraus, weshalb die RAF im Oktober 1977 keinen Ausweg aus der militärischen Eskalation fand

Berlin (taz) – Nach 20 Jahren kann erstmals ein RAF-Gefangener unzensiert mit der Presse reden. In einem Gespräch, das morgen auf vier Seiten im taz-Magazin erscheint, blickt Stefan Wisniewski, 44, der für die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, kritisch auf die verhängnisvolle Entwicklung zurück.

„Im nachhinein muß ich sagen, wir haben nichts versucht, um die vermeintliche Zwangsläufigkeit zu durchbrechen. Aber damals war niemand bereit, ein Eingeständnis zu machen. Das hätte bedeutet, daß wir vieles, was wir später wohl gesehen haben, vorweggenommen hätten. Wir hätten sagen müssen, der bewaffnete Kampf, so wie er gelaufen ist, geht nicht.“

Ursprünglich hatte die RAF 1977 geplant, Schleyer und auch den Chef der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, zu entführen. Nachdem ein Kommando Ponto beim Entführungsversuch erschossen hatte, war selbst die RAF skeptisch, ob ihre Erwartungen erfüllt würden. Aber, so Wisniewski, „die andere Seite waren die Verhältnisse im Knast. Wir hatten Angst, wenn es so weitergeht, dann gibt es unter Umständen erneut tote Gefangene und wir stehen wieder da und können nur trauern.“

Wisniewskis Erfahrungen damals waren von zunehmender Repression und dem Zerfall der 68er Revolte geprägt. „Vor diesem Hintergrund erschien uns die RAF als besonders glaubwürdig, immerhin setzten die GenossInnen ihr Leben für ihre Überzeugung ein.“ Und: 1977 „dachten wir, wenn wir die Gefangenen befreit haben, dann können wir wieder auf die ursprünglichen politischen Ziele zurückkommen“. Nach dem Hungerstreiktod des RAF-Gefangenen Holger Meins, 1974, ging Wisniewski zur RAF. „Das war für mich das Überschreiten einer Schwelle.“

Er geht heute noch davon aus, daß die militärische Eskalation 1977, als die RAF erst Bundesanwalt Siegfried Buback, kurz darauf den Banker Jürgen Ponto erschoß und dann Hanns Martin Schleyer entführte, auch damit zusammenhing, daß viele Linke die Situation der RAF-Gefangenen in den Isolationstrakten ignorierten. „Wer die Bedingungen der Gefangenen verdrängte, der sollte sich nachträglich wenigstens nicht wundern, wenn ihn die Frage im Herbst 1977 in einer militärischen Zuspitzung wieder einholte.“

Warum die RAF aus dieser militärischen Zuspitzung nicht mehr herauskam, sagt Wisniewski heute: „Das hätte aus unserer damaligen Sicht bedeutet, daß wir die Politik des Krisenstabes bestätigen und legitimieren. Eine Freilassung ohne politische Gegenleistung wäre nicht als menschliche Geste, sondern als Eingeständnis unserer Niederlage verstanden worden. Aus heutiger Sicht sehe ich auch unsere verpaßten Chancen, die politischen Interventionsmöglichkeiten, die auch Schleyer den Weg nach Hause hätten ebnen können.“