: „Ich würde auf das Geld spucken“
Am Wochenende begeht die Siemens AG ihren 150. Geburtstag. Kein Grund für den Konzern, sich mit überlebenden Zwangsarbeiterinnen wie Georgia Peet zu versöhnen ■ Von Constanze von Bullion
Es ist diese verdammte Wut im Bauch. Es ist die Erinnerung an die Demütigungen, die sie kerzengerade aus dem Sessel schießen läßt. Die resolute Dame, die zwischen Hunderten zerlesener Bücher im Wohnzimmer sitzt, schließt nur eine Sekunde lang die Augen, um wieder in der großen Werkshalle zu stehen. Dann schrillt wieder die Glocke, die das Ende der Schicht ankündigt. Dann liegt zwischen den Schrauben wieder dieser vergilbte Zeitungsfetzen, nach dem sie sich den Hals verdreht. Und dann zerrt dieser Vorarbeiter sie wieder aus der Kolonne und schubst sie nach vorn.
Von der SS-Aufseherin mit dem scharfen Hund, von der Angst, den Schlägen, den gestrichenen Essensrationen im KZ Ravensbrück erzählt Georgia Peet nur in knappen Sätzen. Sie kann die Geschichten nicht ausstehen, bei denen sie als hilfloses Opfer dasteht. Die heute 75jährige mußte im Zweiten Weltkrieg unbezahlt für die deutsche Rüstungsindustrie arbeiten. Mitleid will sie deshalb nicht. Aber sie hat beschlossen, sich nicht länger von dem Unternehmen demütigen zu lassen, das sie damals ausgebeutet hat. Und noch jetzt seine Geschichte so unbekümmert schönschreibt, wie es die Firma Siemens tut. Dieses Wochenende zelebriert der Elektronikriese in Berlin seinen 150. Geburtstag.
Eine glanzvolle Veranstaltung wurde da vorbereitet. Die Jubelbroschüren sind gedruckt, für 4.000 Gäste ist der Schampus kalt gestellt, unter ihnen ist auch der Bundeskanzler. Einziger Schönheitsfehler: Vor der Tür rufen Demonstranten mal wieder die Schatten der Vergangenheit wach. Und nicht sie allein. „Dauernd melden sich Journalisten“, klagt Pressesprecher Enzio von Kühlmann- Stumm, „und statt nach 150 Jahren Forschung eines Weltkonzerns zu fragen, reden die immer nur vom Dritten Reich.“
Die Siemens AG hat ein Imageproblem. Ob es Künstler sind, die nicht von dem Konzern gefördert werden wollen, oder Prominente, die sich – wie der SPD-Veteran Hans-Jochen Vogel – für eine Entschädigung der Zwangsarbeiter einsetzen: Der Konzern steht ständig unter Rechtfertigungsdruck. Dabei ist das Problem nicht einzigartig. Millionen Zwangsarbeiter wurden im Zweiten Weltkrieg ins Deutsche Reich verschleppt. Sie pflügten Gutsbesitzern ihre Äcker oder drehten Granaten für des Führers Endsieg. Viele waren Frauen.
Ihre Verantwortung für die zunehmend hemmungslose Ausbeutung sogenannter „Fremdvölkischer“ leugneten die Industriellen der Bundesrepublik beharrlich. Etliche Manager sind inzwischen klug genug, den Protesten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Auch ohne umfassende Entschädigung zu zahlen, gab Daimler-Benz eine große Studie über Zwangsarbeit in Auftrag. Und durch ein Forschungsprojekt des Historikers Hans Mommsen versöhnte sich auch die Volkswagen AG mit ihren Opfern.
Nicht so die Firma Siemens. Gut 500 Seiten widmete der Haus- und Hofchronist Wilfried Feldenkirchen 1995 dem Aufstieg des 1847 gegründeten Familienunternehmens, der Entwicklung von Telegrafen, Dynamomaschinen und Staubsaugern. Er bilanziert die Geschäfte, mit denen der Konzern bis 1933 die AEG überflügelte. Erzählt wird von der Siemens-Familie, die der Betrieb durch soziale Fürsorge zusammenhielt. Den „ausländischen Arbeitskräften“, die bis 1945 einen unvergleichlichen Rüstungsboom erwirtschafteten, opfert Feldenkirchen gerade mal fünf Seiten.
Georgia Peet kennt die Borniertheit ihrer ehemaligen Peiniger längst. Im Hugenottenviertel von Berlin-Mitte hat sich diese lebhafte Dame eine Wohnung eingerichtet, die mehr erzählt als jede Autobiographie es könnte. Plakate aus der DDR hängen hier an der Wand und Linoldrucke mit hebräischen Schriftzeichen, zwischen siebenarmigen Leuchtern schleicht Kater Tommy herum, der nur Englisch versteht.
Georgia Peet, die früher Taneva Nadja Smirnova hieß, ist auf dem Papier eine Britin, seit über 50 Jahren Berlinerin, ihr Wohnzimmer sieht aus, als wäre sie Jüdin. Die Tochter kommunistischer Emigranten aus Bulgarien lebte in Warschau, als die Deutschen 1939 Polen überfielen. Auf einem Lastwagen karrte man sie zu „Reifen Metzeler“ nach München.
Das war nur der Anfang ihrer Odyssee. Weil die 19jährige mit Studenten Zettel mit Antikriegsparolen verteilte, deportierte man sie 1942 nach Auschwitz. Sechs Wochen später stellte man sie zur Arbeit im Frauen-KZ Ravensbrück bei Berlin ab. Und von den Bildern, die sie bis heute verfolgen, sind die von der Ankunft in Ravensbrück die unerträglichsten. Es ist die lange Reihe nackter Frauen, die sich vor einem kleinen Tisch aufstellen mußten, um sich von einem höhnischen SS-Mann mustern zu lassen. „Ich habe mich wahnsinnig geschämt“, erzählt sie, „mich hatte nicht einmal meine Mutter nackt gesehen.“ Demütigung und Stolz, das sind die Themen, die sich durch alle Geschichten ziehen, die Georgia Peet aus ihrem Leben erzählt. Stolz ist sie noch heute auf alles, was sie lernen konnte im Lager, manchmal klingt das fast wie in einem Schulbuch der DDR. Da waren die Rotarmistinnen, die sie agitierten. Und die Künstlerinnen, die ihr unbekannte intellektuelle Horizonte eröffneten. Aber da waren auch die Streitereien zwischen Frauen, die man in Holzbaracken zusammengepfercht hatte. Lohn wurde keiner ausgezahlt. Nur die ständige Drohung, ins Vernichtungslager deportiert zu werden, trieb sie zu Höchstleistungen.
Georgia Peet hat sich 1942 gemeldet, als die Firma Siemens & Halske in Ravensbrück Arbeitskräfte anforderte. 20 Baracken errichtete der Betrieb in der Nähe des Lagers, bis Kriegsende arbeiteten in der Fertigungsstelle durchschnittlich 2.000 weibliche Häftlinge. Sie bauten Kippschalter, wickelten Spulen und steckten Mikrofone zusammen. 150 Anweiser aus dem Stammwerk in Berlin lernten sie an, SS-Aufseherinnen sorgten für Disziplin. Und weil die Häftlinge viel effektiver waren als erwartet, weitete Siemens die Produktion aus.
Man sei vom „Regime“ dazu gezungen worden, fehlende Arbeitskräfte durch Zwangsarbeiter zu ersetzten: Das versichert Peter von Siemens, der letzte seiner Dynastie, auch zum 150. Jubiläum. Der Mann ist längst widerlegt. Daß Siemens schon 1940 Zwagsarbeiter beschäftigte und auf eigene Initiative die Fertigung auf KZ in ganz Europa ausweitete, wies der Historiker Karl-Heinz Roth nach. Siemens produzierte in Auschwitz und Buchenwald, in Groß-Rosen und Flossenbürg. Allein im Jahr 1944 waren rund 60.000 Zwangsarbeiter im Einsatz.
Wer überlebt hat, spricht heute ganz unterschiedlich von der Vergangenheit. So erinnern sich die einen an ihre verzweifelte Hoffnung, weiterarbeiten zu können. Andere, wie Georgia Peet, müssen ihren Haß niederkämpfen, weil die Ohmacht von damals der von heute nicht unähnlich ist.
„Wir kennen ihre Namen“, sagt sie, „wir kennen die Positionen der Siemens-Leute. Und was nützt es uns? Gar nichts.“ 7,2 Millionen Mark hat Siemens Ende der 50er Jahre an rund 2.000 jüdische Zwangsarbeiterinnen gezahlt – auf Druck der Jewish Claims Conference. Nichtjüdinnen wie Frau Peet gingen leer aus. Die Siemens- Familie mauert. Und statt im September zu einer ZDF-Diskussion mit dem Antisemitismusforscher Wolfgang Benz zu erscheinen, drückte man den Überlebenden per Fax „tiefstes Mitgefühl“ aus. Und wies darauf hin, daß die Nazis „auch unser Unternehmen und seine Mitarbeiter damals gezwungen haben, in diesem unmenschlichen System zu arbeiten“. Das alte Lied: Die Konzernherren waren selbst die Opfer.
Es wird auch zum Jubeltag keine versöhnliche Geste geben, soviel steht fest. Auf finanzielle Entschädigung würde Georgia Peet ohnehin am liebsten verzichten. Nach dem Krieg trat sie in die KPD ein. Und weil sie überzeugte kommunistin war, blieb sie auch dann noch in der DDR, als sie einen Briten heiratete. Bis heute hat sie sich an das neue Leben im Kapitalismus nicht gewöhnen können. „Und wenn Siemens jetzt noch kommen würde“, sagt sie, „ich würde auf das Geld spucken.“
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