Analyse: Moskau-Paris
■ Rußland und das Haus Europa
Einmal im Jahr wollen sich der Franzose, der Russe und der Deutsche nun zu einem Dreiergipfel treffen. Der Auftakt soll in Präsident Boris Jelzins Heimatstadt Jekaterinenburg stattfinden. Das jedenfalls schlug Frankreichs Präsident Jacques Chirac vor. Die Entente cordiale zwischen dem unterkühlten Franzosen und dem heißblütigen Russen in den letzten Wochen läßt aufhorchen. Helmut Kohl doch noch mit in die Runde zu bitten ist eher eine Geste des Anstands als Ausdruck der derzeitigen russischen Interessen.
Der Kreml sieht in Frankreich einen Partner, der dem angeschlagenen imperialen Koloß wieder zur Weltgeltung verhelfen soll. Französische Vorschläge, eine europäische Sicherheitscharta zu initiieren und die Strukturen der OSZE zu nutzen, um eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik zu betreiben, ist Labsal für russische Ohren. Genauso das Bekenntnis Chiracs, ohne Rußland sei eine europäische Sicherheitspolitik nicht denkbar. Auch Kohl würde das unterschreiben. Der Unterschied besteht darin, daß dieser sich vorher bei Clinton rückversichert hätte. Frankreichs Sonderweg in der Nato ist es, was dem Kreml besonders zusagt.
Der russische Wunsch, an einem Europa ohne Trenngräben mitzuwirken, ist keine Heuchelei, die Angst der reformorientierten Elite, erneut in die Isolation zu geraten, nicht gespielt. Dennoch: Rußland nimmt Europa zwar als eine Wirtschaftsmacht wahr, die politische Integration wird eher belächelt. Als Instrument indes, „irgendwelchen Onkels“ in Übersee Paroli zu bieten, mietet man sich gern im gemeinsamen Haus Europa ein – mit dem Ziel, das euro-atlantische Bündnis zu schwächen und ein polyzentrisches Gefüge der Weltgesellschaft zu errichten. Dagegen wäre nichts einzuwenden, schlummerte darin nicht der russische Traum, sich der potentiellen Weltmacht Europa nicht nur als Schutzmacht, sondern gleich als Hegemon anzubieten.
Der verläßlichste Partner für dieses Anliegen, täuscht sich Moskau, sei Paris. Daß antiamerikanische Töne in Frankreich nicht viel mehr als innenpolitisches Hoftheater darstellen, wird nicht durchschaut. Schon einmal in der Geschichte gingen Rußland und Frankreich einen Zweierbund ein. Genau vor einem Jahrhundert war es das von Deutschland gedemütigte Frankreich, das hoffte, mit Hilfe des russischen Bären seine Hegemonie wiederzuerlangen. Rußland schlitterte in den Ersten Weltkrieg, es folgte die Revolution, mit der sich das Land für 70 Jahre aus Europa verabschiedete. Russische Außenpolitiker tun sich schwer, aus der Geschichte zu lernen. Man denkt in Kategorien des 19. Jahrhunderts. Nicht das Streben nach Macht durch wirtschaftliche Potenz, sondern geopolitische Strategien beherrschen das Denken. Dessen Sektoren bleiben territoriale Größe und militärische Stärke. Europa besteht für den Kreml nach wie vor aus Kleinstaaten, deren Zwistigkeiten er im eigenen Interesse gern instrumentalisiert. Noch hat Moskau nicht entschieden, wie es mit Eurpoa verfahren will. Integration mit gleichen Rechten und Pflichten oder Teilnahme, um anachronistische Interessen zu verfolgen. Das bedeutet letztlich, Sand ins europäische Getriebe zu streuen. Klaus-Helge Donath
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