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Siemens: 150 und noch unbelehrbar

■ Zum 150. Geburtstag seines Konzerns erklärt Siemens-Chef Heinrich von Pierer zu Entschädigungen für Zwangsarbeiter: „Die Frage stellt sich nicht“. Hunderte ehemaliger Zwangsarbeiter protestieren in Berlin

Berlin (taz) – Siemens-Chef Heinrich von Pierer bleibt hart. „Die Frage nach der Beteiligung an einem Entschädigungsfonds“ für ZwangsarbeiterInnen während des Nationalsozialismus „stellt sich nicht“, sagte der Vorstandsvorsitzende gestern in Berlin. Vor Beginn der Galaveranstaltung zum 150jährigen Konzernjubiläum, an der auch Bundeskanzler Helmut Kohl teilnahm, erklärte Pierer: „Siemens hat sich bereits vor über 40 Jahren an einem Fonds beteiligt.“ Damals allerdings zahlte das Unternehmen nur 7,2 Millionen Mark an rund 2.000 jüdische ZwangsarbeiterInnen.

Allein im Jahr 1944 jedoch beutete der Elektro- und Rüstungskonzern 60.000 ZwangsarbeiterInnen aus. Das war rund ein Drittel der gesamten Belegschaft. Lohn bekamen sie zumeist nicht. Nach ihrer Arbeit in den Siemensfabriken vegetierten die Sklaven aus vielen europäischen Ländern oft in KZ-Außenlagern.

Mehrere hundert von ihnen versammelten sich gestern in Berlin zu einer Gedenkveranstaltung, während im Internationalen Kongreßzentrum Manager und Prominente die erfolgreiche Firmengeschichte hochleben ließen. „Entschädigung“ lautete die Forderung der früheren ZwangsarbeiterInnen. „Wir brauchen keine Denkmäler, wir brauchen Brot und Suppe“, sagte die Ukrainerin Nadja Kalnickaja, die als 17jährige Schülerin zur Zwangsarbeit bei Siemens verpflichtet wurde. Leisten könnte sich Siemens eine großzügige Entschädigung allemal. Der weltweite Umsatz stieg im Geschäftsjahr 1996/97 auf über 100 Milliarden Mark. Vor Steuern bleiben davon 2,5 Milliarden Mark Gewinn übrig.

Während Kanzler Kohl vor 4.000 geladenen Festgästen „Mut und Kreativität“ von Deutschlands Unternehmern forderte, nahm Siemens-Aufsichtsratschef Hermann Franz Zuflucht zu bekannten Statements. Europas größter Elektrokonzern „bedauere zutiefst, was seinerzeit im Namen des deutschen Volkes geschehen“ sei. Die Zwangsverpflichtung zur Kriegsproduktion sei jedoch durch staatliche Institutionen erfolgt, relativierte Franz die Verantwortung des Konzerns.

Die Grünen forderten gestern die Einrichtung einer Stiftung „Entschädigung für NS-Zwangsarbeit“. Nach Ansicht des rechtspolitischen Sprechers Volker Beck sollten der Bund als Rechtsnachfolger des NS-Staates und Industrieunternehmen wie Siemens in die Stiftung einzahlen. Hannes Koch

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