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Trostloser Trend

Hamm-Süd: Stadtentwicklungsbehörde will kein lebendiges Quartier. Trostlose Brache an der Bille soll bleiben  ■ Von Heike Haarhoff

Lagerhallen, Speditionen an jeder Straßenecke. Motorenöl tropft aus Lastwagen auf Schotterparkplätze am Hammer Deich. Nebenan eine Halde mit Sand und Kies. Rohstoffe für die Betonmischfabrik. Es nieselt. Und der Straßenstrich in der Süderstraße ist gleich um die Ecke. „Es gibt nur wenige Menschen“, sagt Michael Braun von der örtlichen Stadtteilinitiative, „die hier in Hamm-Süd an der Grenze zu Hammerbrook leben wollen.“

3.500 sind es nach Angaben der Stadt, die sich den tristen, vereinzelten Backstein-Mietshäusern zum Trotz hier eingerichtet haben – in diesem Viertel zwischen Gewerbe und Industrie, lieblos in den Nachkriegsjahren aus dem zerbombten Boden gestampft, dessen einziger Charme seine Lage an der Bille ist. Doch genau die gab Hamm-Süd bis vor kurzem immerhin Perspektive: Alles werde besser; auf die vielen Brachflächen entlang des Flusses würden neue Wohnungen gebaut, Gewerbe auf weniger attraktive Standorte verlagert und dadurch wiederum Läden, Geschäfte, sogar Arztpraxen, Kneipen, vielleicht eine weitere Schule, ein Bus und Freizeitangebote für Jugendliche „bald“und „bestimmt“angesiedelt. So versprach es die Stadtentwicklungsbehörde unermüdlich seit ihrem Stadtentwicklungsforum 1993.

Heute jedoch will sie davon nichts mehr wissen. „Der Charakter des Viertels als Arbeitsstätte steht nicht in Frage“, erklärte die Chefin des Landesplanungsamts, Catherine Hoja, gestern gegenüber der taz. Konkret bedeutet das: Die Pläne für den Wohnungsneubau sind – abgesehen von 350 Sozialwohnungen an der Steinbeker Straße – „auf Eis gelegt“, bedauert ein leitender Mitarbeiter des Bezirksamts Mitte. Statt dessen setze die Stadt auf „Gewerbe, Gewerbe, Gewerbe“. Die Zustimmung zur Werks-Erweiterung der Kaffeerösterei Tchibo an der Bille sei nur der Auftakt. „Die Leute sind maßlos enttäuscht“, weiß Michael Braun. Die angestrebte lebendige Mischung aus Wohnen, Gewerbe und Industrie drohe zu scheitern.

Die Steb bestreitet das – noch. „Es gibt noch keine konkreten Planungen“, so Hoja. Allerdings, räumt sie ein, „gibt es funktionierende Betriebe. Wir werden uns hüten, die zu verunsichern.“Lückenschließung durch Wohnungsbau beispielsweise würde diesen Tatbestand ihrer Meinung nach erfüllen. „Damit würden Sie das Gewerbe wegekeln.“Und auch die Umsiedlung einiger Industriebetriebe wie der Betonmischfabrik – weg von dem nördlichen Billebecken, um dort attraktive Wohnlagen zu schaffen – schließt sie aus. „Wenn aber das Gewerbe von sich aus geht, ist eine gemischte Nutzung, auch mit Wohnungen, längerfristig denkbar.“

Daß es mit dieser Flächenpolitik und ohne den Zuzug kaufkräftiger Einwohner kaum gelingen dürfte, Läden und Ärzte anzulocken, ist auch Hoja klar: „Das ist kein Trost, aber so ist der generelle Trend.“

Dem die Stadtplanung hilflos gegenübersteht. Hoja: „Da sind noch Konflikte zu regeln.“

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