: "Liebe taz..."Buhmann Esoterik -betr.: "Visionen meschlicher Zukunft", taz-Bremen vom 13.10.1997
Betr.: „Visionen menschlicher Zukunft“taz, 13.10.
Im Fahrwasser der anhaltenden Diskussionen um Scientologie scheint sich in letzter Zeit ein Klima breitzumachen, das jede Form spiritueller Sinnsuche, so verquer sie auch manchmal zu sein scheint, zu verteufeln sucht, mit Ausnahme der überlieferten Traditionen wie Christentum, Buddhismus, Islam und der Hausreligion der Linken, der Antrophosophie.
Die Aufarbeitung religiöser Ideen und ihrer Verquickung mit dem Nationalsozialismus ist eine ehrenwerte und notwendige Arbeit. Die Hinweise von Colin Goldner sind wertvolle Erkenntnisse, um bestimmte Entwicklungen innerhalb der deutschen Geschichte besser verstehen und einordnen zu können. Ohne ein religionshistorisches Verständnis der damaligen Vorgänge bleiben viele Bereiche unserer Vergangenheit unverständlich, einschließlich der schon fast panischen Angst vor den modernen religiösen Bewegungen.
Es stellt sich aber die Frage, ob Erkenntnisse damaliger Ideolgien und religiöser Vorstellungen scheinbar völlig unkritisch auf heutige Bewegungen übertragbar sind. Liest man die vielen Veröffentlichungen textkritisch, die sich mit dem „braunen Gedankengut“der heutigen Esoterik befassen, sei es in Psychologie heute, ZEIT-Punkte, oder auch in der taz, dann muß man feststellen, daß viele Textzitierungen aus ihrem Kontext genommen wurden und dadurch die ihnen unterstellte Tendenz erhalten.
Der am meisten erhobene Vowurf gegen Spiritualität, Esoterik, New-Age usw. gipfelt in dem Vorwurf der Selbsterlösung und der Möglichkeit, sein Himmelreich schon auf dieser Welt finden zu können. Sind die Esoteriker damit der Domäne der Linken zu nahe gekommen, die doch für die Verbesserung der Welt zuständig sind, so daß sie nun in eine unheilige Allianz mit den Großkirchen eingeschwenkt sind, die diese Argumente schon seit hunderten von Jahren nutzt, um mißliebige religiöse Strömungen zu verfolgen? Wer einmal die Workshops des „Esoterik-Supermarktes“besucht, muß feststellen, daß sich das Klientel zu einem großen Teil aus Menschen speist, die vor wenigen Jahren sich selbst als links bezeichnet haben und die es zum Teil heute noch tun. Alles verkappte Faschisten, die nun ihr wahres Gesicht zeigen? Es hat eher den Anschein, als sei die sozialistische oder marxistische Glaubenslehre nicht ganz vollständig.
Hat ein Teil der Linken keine eigenen Utopien mehr, daß sie ihre Gegenveranstaltung im Schlachthof als Antivisionen-Workshop deklarieren muß? Anstatt einen Austausch von Ideen und Vorstellungen zu suchen, ein Forum, in dem gestritten und debattiert werden kann, wird jede SinnsucherIn in die faschistische, rassistische und antisemitische Schublade gepackt. Ein wenig Differenzierung könnte nicht schaden.
Wo äußere Feindbilder nicht mehr greifen und mobilisieren, wo in der sichtbaren Politik die politischen Lösungsvorschläge von Rechts und Links sich immer näher kommen und durchdringen, bedarf es anscheinend eines neuen Feindbildes, um sich selbst noch definieren zu können. Die Kirchen lehnen die spirituellen Suchbewegungen ab, weil sie die Konkurrenz fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Die Regierenden freuen sich über den innenpolitischen Feind Scientologie, durch den sie sich als Wahrer der Menschenrechte profilieren können. Dabei praktiziert Scientologie doch nur im Extrem, was die meisten Menschen, einschließlich vieler Politiker, zu glauben scheinen: Erfolg und Geld ist allein seligmachend, und alle Mittel sind recht, dieses Glück zu erreichen. Es bleibt die Frage, warum auch ein Teil der Linken sich dieser Allianz anschließen muß?
Eine esoterische Karmalehre, die in ihrem Kern nichts anderes aussagt, als daß alles, was ich mache, auf mich zurückwirken wird, ist weder bequem, weltabgewandt noch rassistisch. Schließlich fordert eine solche Lehre auf, das eigene Handeln und Wirken in dieser Welt verantwortungsvoll zu praktizieren. „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg' auch keinem anderen zu“. Zugegebenermaßen eine höchst faschistische Einstellung. Auch wenn es viel Unreflektiertheit innerhalb der religiösen Szenerie gibt, so scheint sie zumindest Utopien zu haben und sich dafür zu engagieren. Hier sollte man Begegnungspunkte suchen und nicht neue Feindbilder schaffen. Erich Sturm,
Religionswissenschaftler
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