: Der homosexuelle Mann... Von Elmar Kraushaar
...hat eine Zukunft. Und die wird ganz wunderbar. So jedenfalls scheint es, liest man die Weissagungen prominenter US-Lesben und -Schwuler für das Jahr 2027. Im neuesten Advocate – der Welt bester Lesben- und Schwulenzeitschrift – durfte zum 30jährigen Jubiläum des Blattes alles, was Rang und Namen hat, einen Blick nach vorne wagen. Selbst der – heterosexuelle – Präsident Bill Clinton war dabei: „Während sich das 21. Jahrhundert nähert, wird der anhaltende Erfolg Amerikas von unserer Fähigkeit abhängen, einander zu schätzen und zu verstehen.“
Bei soviel staatsmännischem Vorbild ist es die Figur des Präsidenten, die vielen der Befragten ein Ziel zu sein scheint. Der Dichter Alfred Corn wünscht sich im Jahr 2027 zwei Männer, Hand in Hand, im Weißen Haus, die Menschenrechtsaktivistin Elizabeth Birch sieht die Schauspielerin Ellen DeGeneres auf dem Weg zur „First Woman“, und Chastity Bono, Tochter von Sonny and Cher, beamt sich gleich selbst ins Oval Office, mit ihrer „First Lesbian“ an der Seite und einem Enkel auf dem Schoß, dem sie auf seinen Wunsch, selbst einmal Präsident der USA zu werden, freundlich, aber bestimmt erklärt: „Ein schwuler Mann kann niemals Präsident werden. Es gibt Dinge, die Lesben einfach besser können.“
Eine andere, immer wiederkehrende Phantasie widmet sich der Ehe. Die Menschenrechtlerin Donna Red Wing träumt davon, mit ihrer Freundin von einem weiblichen Bischof getraut zu werden, und der Schwulenaktivist Evan Wolfson feiert dereinst den historischen Sieg von 1997 auf Hawaii, dem ersten US-Bundesstaat, der vor einigen Monaten etwas Eheähnliches für Homosexuelle einführte. Weniger Einigkeit herrscht über die richtige Vokabel für Lesben und Schwule in 30 Jahren. Schließlich öffnet die junge Generation heute schon eine neue Schublade nach der anderen: Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transsexuelle, Mann-zu-Frau- Lesbe, Drag Queen, Butch, Femme, usw.: Sammelbegriff Queer. Um diesem Wirrwarr zu entgehen, erfindet Elizabeth Birch gleich ein neues Wort, „Fuchsia“ oder „Fuchsians“. Die Pioniere der Bewegung werden auch künftig, so vermutet der Schriftsteller John Echy, das Wörtchen „queer“ hassen, schließlich verbinden sie damit nur das begleitende Schimpfwort zum Schwulenklatschen. Und die Schriftstellerin Jewelle Gomez hat die Hoffnung, daß in 30 Jahren der Begriff seine ursprünglichen Assoziationen wiedergewinnt: „Fortschrittlich, unabhängig, kämpferisch und entschlossen, den Status quo zu verändern“.
Nur der Dramatiker und Aids- Aktivist Larry Kramer macht nicht mit bei dem Spiel mit der Zukunft. Ein Querkopf schon immer, schaut er nicht nach vorn, dafür aber zurück: „Nichts ist wichtiger für unsere Zukunft, als sich unserer Vergangenheit zu erinnern. Und all derer, die darin gelebt haben.“ Denn Schwule, so Kramer, haben den Hang zu vergessen, so wie sie sich ständig selbst täuschen: „Wir machen uns vor, daß man uns zuhört, daß der Aids-Genozid einmal zu Ende geht, daß wir Macht haben.“ Er dagegen plädiert für das Erinnern, das soviel schwerer ist als die Selbsttäuschung oder das Vergessen. Trotzig fügt er hinzu: „Ich will einem Volk angehören, das niemals vergißt.“ Und er meint nicht das Volk der Amerikaner.
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