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Krieg gegen Boliviens Drogenbauern

Boliviens Regierung hat sich gegenüber den USA verpflichtet, jährlich 7.000 Hektar Koka-Pflanzungen zu vernichten. Die Gewerkschaften der Bauern in der Region Chapare wehren sich gegen Armee und Polizei  ■ Aus Eteromazama Ingo Malcher

Unter seiner ausgegilbten blauen Nissan- Schildmütze hat Carlos Ramos eine tiefe Narbe, die längs über die linke Kopfhälfte reicht. Die Haare drum herum wurden ihm abrasiert, es hat sich eine dicke, eitrige Kruste auf seinem Kopf gebildet. Ein Polizist hat ihn mit dem Gewehrkolben auf den Kopf geschlagen. Als Mitte Mai die in Gewerkschaften organisierten Koka-Bauern in Eteromazama eine Straße blockierten, um zu verhindern, daß die Polizei eine Parzelle von Koka- Pflanzen vernichtet, kam es zur Eskalation. Die Sondereinheit der Polizei antwortete mit Hubschraubern, Tränengas, schoß mit scharfer Munition, verprügelte die Bewohner des Ortes und drang in ihre Häuser ein. Selbst das kleine Krankenhaus des Ortes, in dem die Verletzten der Auseinandersetzungen gerade behandelt wurden, war nicht sicher vor Übergriffen.

Die Wunde am Kopf ist nicht die einzige Verletzung, die Carlos Ramos von den Auseinandersetzungen davontrug. Der 39jährige Campesino zieht sein türkisfarbenes T-Shirt aus der Hose und schiebt es hoch bis unter die Brust. Am Bauch hat er einen dicken Mullverband um den Körper gewickelt, an einigen Stellen kommen gelbe Jodflecken zum Vorschein. An der Wade hat er eine weitere verkrustete Narbe von einer Machete. Warum ihn die Polizisten, die ihn so zurichteten, „einen Roten“ genannt haben, hat er bis heute nicht verstanden.

Ramos lebt wie fast alle in Eteromazama vom Anbau von Koka- Blättern und ist in der Gewerkschaft der Koka-Bauern organisiert, die sich vor allem gegen die Vernichtung der Koka-Pflanzungen wehrt.

Eine der wichtigsten Straßen Boliviens, die von La Paz über Cochabamba nach Santa Cruz geht, führt direkt durch den Chapare. Die Luft dort ist schwül, aber frisch. An der Straße entlang wachsen Bananenstauden und Orangenbäume. In einem Fluß neben der Straße waschen Bauern frisch geerntete Orangen. Entlang der Strecke verkaufen Bäuerinnen Bananen, Orangen, Papaya, Salteñas – mit Huhn gefüllte Teigtaschen –, selbstgemachte Säfte und abgepackte Süßigkeiten.

Nach Eteromazama kommt nur, wer von der Hauptstraße abbiegt und einen Kontrollpunkt der Polizei passiert. Im Polizeijargon gilt das Dorf als die Hauptstadt der „Roten Zone“, wo Auseinandersetzungen zwischen der Spezialeinheit der Polizei und den Koka- Bauern an der Tagesordnung sind. An dem Polizeiposten streckt ein Drogenhund in der Mittagshitze gelangweilt alle viere von sich. Die Polizisten sitzen im Schatten unter dem Vordach ihres Hauses und wippen mit Maschinenpistolen auf ihren Knien. Der Posten ist mit Stacheldraht umzäunt, ein schmuckloses, graues, angerostetes Wellblechdach wölbt sich über die Straße, von einem Metallgerüst können die Polizisten auf das Dach der haltenden Lastwagen und Busse sehen. Für Touristen interessieren sie sich nur wenig. Einen kurzen Blick in den Kofferraum, und damit ist es schon getan. Einheimische müssen in der Regel auspacken. Die Bauern knoten dann ihre bunten Säcke mit Orangen auf und werden von den Polizisten abgetastet. Am Posten warnt ein Schild, daß es nach dem Gesetz 1008 verboten ist, Koka-Blätter oder bestimmte Chemikalien in der Gegend zu transportieren. Ein schlecht kopiertes Plakat, das mit Reißnägeln an eine Holzwand gepinnt wurde, lädt zur Denunziation ein: „Wer einen Drogenschmuggler anzeigt, bekommt eine Belohnung. Für unser aller Wohl. Für Bolivien.“

Nur wenige Kilometer weiter hängen an einer Schnur zwischen zwei Bäumen über die mit Steinen gepflasterte Straße noch die Wahlplakate der Vereinigten Linken (IU) für die Präsidentschaftswahlen am 1. Juni. In Ketschua steht darauf: Viva Causachun Coca Wañuchun Yanquis – es lebe die Koka, Tod den Yankees.“ Über den Dächern von vielen der einfachen Holzhäuser flattert die bunte Fahne der Koka-Bauern aus grünen, orangenen, weißen, gelben und roten Rauten. Der Kandidat der IU, der Gewerkschafter Evo Morales, hat im Chapare knapp 80 Prozent bekommen. Morales ist damit der erste Koka-Pflanzer, der in ein Parlament einziehen wird. Er sagt voraus, „daß es große Probleme im Chapare geben wird, wenn die Regierung weiter an der Repressionsschraube gegen uns Koka-Bauern dreht“.

Im Chapare gibt es etwa 30.000 bis 40.000 Hektar Koka-Pflanzen. Die Koka-Pflanze wird ähnlich wie Mais in Reihen angepflanzt. Bolivien ist nach Peru der größte Produzent von Koka-Blättern. Aus etwa 80 Prozent der Koka-Produktion in Bolivien wird Kokain hergestellt. Die bolivianische Regierung hat sich gegenüber den USA verpflichtet, jährlich 7.000 Hektar Anbaufläche zu vernichten, dieses Jahr ist schon fast die Hälfte des Jahressolls erreicht. Campesinos, die ihre Felder freiwillig vernichten lassen, bekommen 2.500 Dollar Prämie ausgeschüttet – gesponsort von der US-Regierung.

Allerdings ist mit anderen Produkten wesentlich weniger Geld zu verdienen als mit dem Koka-Anbau. „Wir sind bereit, andere Dinge zu pflanzen, aber für viele Alternativprodukte fehlt einfach der Markt“, beklagt sich der Campesino Leonardo Marca. Die Polizei hat erst kürzlich seine Koka- Pflanzen rausgehackt. Jetzt hat Marca einen Prozeß am Hals, weil er sich gegen die Zerstörung seiner Pflanzen gewehrt hatte. Um halb sieben Uhr morgens stand die Sondereinheit der Polizei vor seinem kleinen Haus, als er gerade mit seiner Familie am Frühstücken war. Später haben ihn Zivipolizisten festgenommen. Auf der Polizeistation haben sie ihm die Augen verbunden und ihn geschlagen. „Sie haben mich wie einen Drogendealer behandelt“, beschwert er sich. Nachdem seine Koka- Pflanzen zerstört sind, lebt Ramos vom Orangenanbau. Für einen Sack mit 300 Orangen bekommt Ramos 15 Bolivianos (2,90 Dollar). Für ein Paket mit 25 Kilo Koka-Paste streichen die Campesinos zwischen 60 (11,50 Dollar) und 90 (17,27 Dollar) Bolivianos ein.

Leonardo Marca würde sich anstatt der US-Subventionen für den Krieg gegen Drogen eher den Aufbau einer Infrastruktur wünschen. „Hier eine Orangensaftfabrik hinzubauen, wäre gut“, meint er. Das wäre dann „wenigstens auch eine längerfristige Investition, anders als die Gelder für Waffen.“

In der Polizeikaserne für die Gegend, in Chimoré, hat die US- amerikanische Drug Enforcement Agency (DEA), ein eigenes Gebäude, das nochmals mit einem Extra-Stacheldrahtzaun geschützt ist. „Die DEA-Leute kommen und gehen, wann sie wollen“, erzählt Coronel German Aliaga, der Chef über 600 Spezialpolizisten in der Gegend.

Die DEA darf offiziell nicht auf bolivianischem Gebiet Exekutivfunktionen wahrnehmen. Nach Angaben von Aliaga sind die DEA-Mitarbeiter als Berater eingesetzt. Darüber hinaus arbeiten sie im Spionagebereich. Die im Kampf gegen Drogen dienstschiebenden Mitglieder der Spezialeinheiten der Polizei bekommen von der US-Botschaft einen Zuschlag auf ihr Gehalt. 450 Bolivianos (86 Dollar) bekommen Polizisten normalerweise pro Monat ausgezahlt, für die Antidrogen-Einheiten legt die Botschaft nochmals die gleiche Summe drauf. „Für Euch in Europa mag das wenig erscheinen, für uns ist das viel Geld“, sagt ein junger Polizist.

Die Bürowände von Coronel German Aliaga sind mit allerlei Auszeichnungen geschmückt. Einen Bronzeteller als Erinnerung an einen Besuch in der berüchtigten „Schule der Amerikas“ in Panama, eine in Holz geschnitzte Grußbotschaft vom Oberkommando der US-Streitkräfte in Südamerika. Für Aliaga ist die Eteromazama wegen der starken Gewerkschaften zur Roten Zone geworden. „Die Reaktionen auf die Zerstörung der Koka-Felder werden immer härter, für die Campesinos bedeutet dies ja auch die Zerstörung monatelanger Arbeit“, weiß Aliaga. Trotzdem ist für ihn klar: Wer gegen die Zerstörung der Koka-Pflanzen ist, „vertritt die Interessen des Drogenhandels.“

„Das US-Geld im Kampf gegen Drogen wird dazu benutzt, um Campesinos zu massakrieren“, kontert Fermin Olivera, Gewerkschaftssekretär der Koka-Pflanzer in Eteromazana. Die Campesinos der Gegend sind wütend. „Manche fragen uns, ob sie sich auch bewaffnet verteidigen dürfen, denn das ist ein Kampf gegen Hunger“, sagt er mit lauter Stimme.

„Viele denken schon an einen bewaffneten Aufstand“, schildert auch der Vorsitzende der Koka- Gewerkschaft, der frischgebakkene Abgeordnete Evo Morales, die Stimmung unter den Campesinos, die sich in Selbstverteidigungskomitees organisiert haben. „Wegen der sozialen Ungerechtigkeiten müssen wir auch über andere Kampfarten nachdenken“, meint er. Seine Mitstreiter stimmen Morales zu, sie halten einen bewaffneten Aufstand für denkbar. Allerdings sind die Waffen der Bauern im Chapare wahre Museumsstücke. Knapp hundert Jahre alte Mauser-Gewehre zeigen die Campesinos vor. Ansonsten haben sie ihre Macheten, Stöcke und Steine. Damit einen Aufstand zu wagen, wäre glatter Selbstmord aus Verzweiflung.

Polizeichef German Aliaga gibt sich gelassen: „Wir fürchten keinen bewaffneten Aufstand.“ Denn die Selbstverteidigungskomitees „blockieren höchstens Straßen“ und versuchen, sich mit der Polizei zu schlagen. Daß Evo Morales jetzt Kongreßabgeordneter ist, beruhigt Aliaga eher. „Es ist ein gutes Zeichen für die Campesinos, daß sie jetzt einen Vertreter im Parlament haben, und Morales wird jetzt wohl ruhiger werden. Er wollte die Gewalt, jetzt wird er viel mehr beobachtet.“

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