: Viele Euro-Länder in Sichtweite
Laut neuer EU-Schätzung könnten 14 Länder von Anfang an bei der Währungsunion dabeisein. Wenn alle beim Haushalt ähnlich tricksen, ist das auch Konvergenz ■ Aus Brüssel Alois Berger
Der Euro ist ein deutliches Stück näher gerollt, und so wie es aussieht, werden nicht nur die allgemein genannten Kandidaten plus Italien dabeisein. Das sogenannte Herbstgutachten der EU- Kommission, eine wirtschaftliche Vorausschau auf die Entwicklung in den EU-Ländern, attestiert nicht weniger als 14 Regierungen die voraussichtliche Euro-Reife. Selbst Großbritannien, Dänemark und Schweden, die vermutlich von sich aus auf den Euro-Start verzichten wollen, würden die Bedingungen schaffen. Nur Griechenland wird nach Einschätzung der EU-Kommission die Aufnahmekriterien verfehlen.
Noch vor einem Jahr hätten die Finanzexperten über soviel Euro- Optimismus nur gelacht. Damals erfüllten nach Brüsseler Berechnungen nur Dänemark, Irland und Luxemburg die Bedingungen. Die Einschätzung beruhte auf den Wirtschaftszahlen von 1995. Doch bereits 1996 ging beispielsweise das Haushaltsdefizit in allen EU- Staaten deutlich zurück, im Durchschnitt von 5,1 auf 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Lediglich der deutsche Finanzminister Theo Waigel machte mehr Schulden als im Jahr davor.
Entscheidend für die Euro-Teilnahme sind die Wirtschaftsdaten für 1997. Nach dem Maastrichter Vertrag darf etwa das Haushaltsdefizit drei Prozent nur geringfügig überschreiten, wobei es im Ermessen der 15 Staats- und Regierungschefs liegen wird, was geringfügig bedeutet. Das Defizit ist zwar neben dem langfristigen Zins oder der Inflationsrate nur eines von fünf Kriterien und auch nicht das wichtigste, aber besonders in Deutschland hat sich die politische Diskussion fast ausschließlich darauf verengt. Deshalb gilt es inzwischen als psychologisches Problem für die Bundesregierung, wenn einer der Teilnehmer am Euro die drei Prozent überzieht.
Außer Griechenland läuft nach Einschätzung der EU-Kommission lediglich Frankreich Gefahr, diese Grenze 1997 um 0,1 Prozent zu überschreiten. Das liegt zwar noch reichlich innerhalb der Vorgaben des Maastrichter Vertrages, dürfte aber in Deuschland von den Euro-Gegnern weidlich ausgeschlachtet werden. Bei den übrigen Kriterien sieht die EU-Kommission keine großen Schwierigkeiten.
Die Brüsseler Berechnungen basieren auf einer Fortschreibung der bisherigen wirtschaftlichen Entwicklungen und auf den bereits von den Regierungen beschlossenen Sparmaßnahmen. Entgegen früheren Annahmen haben alle Regierungen ihre Anstrengungen zur Schuldenreduzierung in den letzten Monaten deutlich verstärkt. Dazu kommt, daß sich die Konjunktur schneller erholt hat als erwartet. So betrug das Wachstum im vergangenen Jahr 1,8 Prozent statt der prognostizierten 1,6 Prozent, die Vorhersagen für 1997 wurden auf statt bisher 2,4 auf 2,6 Prozent korrigiert. Das hat vor allem den Regierungen in Italien und Spanien geholfen, ihren Haushalt in den Griff zu bekommen.
Die sogenannten kreativen Buchführungen, also Tricksereien bei der Defizitberechnung, scheinen bei der optimistischen Vorausschau nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Da zudem alle EU-Länder – Deutschland ausdrücklich eingeschlossen – solche Buchungstricks vorgenommen haben, spiegeln die Zahlen die tatsächliche wirtschaftliche Annäherung der EU-Länder einigermaßen genau wider.
Noch vor zwei Jahren betrugen die Unterschiede bei den Haushaltsdefiziten bis zu zwölf Prozent, jetzt sind es nicht einmal mehr sechs Prozent. Der für Währungspolitik zuständige EU-Kommissar Yves Thibault de Silguy betonte gestern in Brüssel, daß es sich bisher lediglich um eine wirtschaftliche Vorausschau handele, wenn auch um eine seiner Meinung nach gut fundierte. Die Entscheidung, welche Länder die Kriterien erfüllen, fällt im Mai nächsten Jahres auf der Grundlage der dann vorliegenden Zahlen für 1997. Fachleute gehen davon aus, daß die Daten auch dann noch nicht wirklich wasserdicht sind. Wegen der komplizierten Erhebungsverfahren werden volkswirtschaftliche Daten oft noch zwei Jahre später korrigiert.
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