Wo bleiben die Sinnestäuschungen?

■ Galactron Space Race: Virtuelle Weltraumrennen auf dem Freimarkt

Viel haben wir schon vernommen von jener wundersamen Welt, in der die Menschen gefüttert werden mit großen Gefühlen und starken Erlebnissen durch ein Geflecht von Kabeln und Elektronen. Ihren Namen kennen wir. Sie heißt virtuelle Realität. Doch wo ist der Eingang zu diesem Traumland?

Zwei Wochen lang ist die Antwort auf diese Frage aller Fragen klar: die Tür zur Weltflucht liegt auf dem Freimarkt, zwischen Zuckerwatte und Stockfisch. Es ist die Kreuzung aus einem gefräßigen Maul und einem ägyptischen Tempeltor und außerdem ein bißchen windig.

Herr über das Virtuelle ist Karl Renoldi. Er trägt einen Crocodile Dundee-Hut aus Deutschland und war im Besitz einer Petersburger Schlittenfahrt ehe der virtuelle Zeitgeist ihn vor drei Jahren anhauchte. Und dieser Geist ist gierig: 75.000 Mark Lizenzgebühr pro Jahr zahlt Renoldi für das Recht, als einziger in Deutschland ein cineastisches Weltraumrennen zu veranstalten, das in irgendeiner Ecke von George Lucas gigantischem Imperium ersonnen wurde.

Nach dem Tor geht's über blecherne Stege durch ein paar Nebel- und Klangschwaden vorbei an Laserworten (“ok“), die in der Luft schweben, in zwei kleine Schachtelkinos für je 7x7 Personen. Die stehen nicht ruhig und weisen auf Mutter Erde. Sie tanzen auf je drei beweglichen Beinchen, auf und ab, rechts und links, oben und unten. Es sind schlechte Tänzer, vielleicht aber auch nur Tangotänzer: ruppig und spröde jedenfalls schütteln sie ihre 49 Insassen durch. Passend dazu wieseln knappe fünf Minuten lang bunte, schnelle Bilder über einen doppelhandtuchgroßen HDTV-Bildschirm. Neuste Technik, dürftiges Ergebnis. Macht ja nichts; auf den Inhalt kommt es im Leben an: Also. Eine Raumschiff gerät aus Versehen in ein Raumschiffrennen. Tja, das Versehen! Das Rennen findet nicht in der grenzenlosen Freiheit des unermeßlichen Weltalls statt, sondern auf einer Autorennbahn, vielleicht ein Symbol für die unnötigen Selbstbeschränkungen, die sich Menschen im allgemeinen und Raumschiffe im besonderen aufbürden. Die Rennstrecke ist nicht ganz fertig gebaut, und so hoppelt und holpert unser Schifflein über Schotter und Gerümpel, die 49x2 Pobacken aber werden nur sanft angerüttelt. Sanft und teuer: Fünf Millionen Mark in Form von 300 Tonnen Metall wollen von 18 Lastwagen von Fest zu Fest gezogen werden.

Da stellt sich ein Wunsch ein: wir wollen mehr Sinnestäuschung. Wo ist der Lug und Trug der neuen Technik, vor dem wir immer gemahnt wurden? Wir wollen ihn haben, aber er stellt sich nicht ein, keine Strudelgefühle, keine Empfindungen von intergalaktischen Geschwindigkeiten.

Immerhin wissen wir jetzt, was virtuelle Realität ist: wenn du Bilder guckst und dabei gerüttelt wirst, dann steckst du mitten drin. Und wenn ein Mensch warnt vor dem künstlich erzeugten Erleben in unserer Welt, dann schicken wir ihn ins Galactron Space Center zum Rütteln und Schütteln und sagen Ätsch. bk