Zwischen Knöllchen und Abschleppdienst

Seit gestern wird gebührenpflichtig kontrolliert auf St. Pauli. Anwohnerparken heißt die neue Devise. „Fremdparker“sind auf der Reeperbahn seither unerwünscht  ■ Von Heike Haarhoff

Die Annenstraße kostet 6.900 Mark. Thomas Mathiak ist unerbittlich. Die eine Hand klappt den Scheibenwischer hoch, die andere klemmt das Knöllchen an die Windschutzscheibe. 23 Strafmandate a 30 Mark. Allein zwischen 8.30 Uhr und 9 Uhr gestern morgen in der Annenstraße. „Nee“, grinst der Verkehrspolizist, „am Umsatz bin ich nicht beteiligt“.

Dabei würde es sich lohnen: Parke nicht hier! Fahre woanders hin! Oder besorge dir einen Anwohner-Parkschein, falls du auf St. Pauli-Nord lebst, signalisieren fabrikneue Verkehrsschilder, Parkscheinautomaten und Hinweistafeln. An jeder Straßenecke zwischen Budapester Straße, Reeperbahn und Holstenstraße. Im August hat die Stadt hier das „Anwohnerparken“eingeführt, „aber erst seit heute“, so Thomas Mathiak gestern, „wird gebührenpflichtig kontrolliert – mit allen Konsequenzen.“

Der erste Tag, die erste Schicht. Die von Thomas Mathiak, Polizeiwache 16, Lerchenstraße. Die meisten Fahrzeuge sind rauhbereift, manche zugefroren. Die Temperatur beträgt um die null Grad. Der Polizist wischt die Sicht frei. Anwohnerausweis? Fehlanzeige. In der Wohlwillstraße wimmelt es nur so vor „Fremdparkern“. Jedes dritte Fahrzeug. Mathiak quittiert es mit einem Ticket. „Wahrscheinlich“, sagt er dann, „sind die meisten noch verwirrt“. Zwei Monate hatten die motorisierten St. Paulianer Zeit, sich an die neuen Verkehrsregeln zu gewöhnen, ohne zur Kasse gebeten zu werden. Seit gestern aber macht Hamburg ernst.

„Was denn, was denn?!“Der Mann im Anzug erspäht den Polizisten, hastet zum Wagen, dann ein Zündgeräusch: In dem von Touristen, Dombesuchern und Fußballfans zugeparkten Viertel sollen ab sofort Auswärtige wie er keine Chance auf eine Parklücke mehr haben, jedenfalls nicht kostenlos. Die Flächen am Straßenrand sind den Anwohnern vorbehalten. Für 60 Mark jährlich können die sich das Recht auf Parken erkaufen, die Garantie freilich nicht.

„Sie sollten lieber abends wiederkommen“, brüllt ein mürrischer Frühaufsteher vom Balkon. „Alles voll. Und dafür 60 Mark!“Mathiak empfiehlt, in solchen Fällen die Telefonnummer 110. „Wir lassen dann abschleppen.“Acht Kollegen der Wache 16 patrouillieren in Zweierschichten durch das Gebiet, Unterstützung bekommen sie von der Davidwache, wo rund um die Uhr gearbeitet wird. Man bemüht sich, präsent zu sein. „Pah.“Die junge Frau in der Thadenstraße glaubt kein Wort. „Ein Witz ist das. Als würde man nicht schon genug Steuern zahlen.“800 Stellflächen stehen knapp 2.000 parkraumsuchenden Anwohnern gegenüber. „Das kann nicht hinkommen“, übt Holger Heitmann, Sachgebietsleiter Verkehr in der Lerchenwache, sanft Kritik an der bezirklichen Planung. Zusätzliche Parkhäuser, Buszubringer oder „andere Ausweichmöglichkeiten“fehlten. „Uns hat niemand gefragt, ob wir das überhaupt wollen, und neulich“, klagt eine Passantin, „hatte das Bezirksamt nicht mal mehr Parkausweise vorrätig.“

In vier Parkzonen wurde das winzige Gebiet von St. Pauli-Nord unterteilt. Wer in seiner Zone kein Plätzchen findet, riskiert ein Ticket. Zone ist Zone. Und sei es nur eine Straße weiter. Wie der dunkelblaue Audi in der Thadenstraße. Rechts um die Ecke in der Annenstraße hätte er noch stehen dürfen, aber hier – 30 Mark. Thomas Mathiaks mobiles Datenerfassungsgerät, ein Monster-Taschenrechner mit Riesenhirn, merkt sich alles: Kennzeichen, Hersteller, Farbe, Datum.

Auf St. Pauli kommt das gar nicht gut an. „Der erste Parkschein-Automat in der Wohlwillstraße war bereits geknackt, noch bevor er in Betrieb...“Weiter kommt Mathiaks nicht. „Moment, unser Dauerkunde. Jede Woche dasselbe.“Er eilt auf den Paulinenplatz. Wild gestikulierend steht da ein italienischer Koch, der Inhaber des Restaurants „Lillo“. „Das ist mein Parkplatz“, giftet er, rüttelt an dem Pfeiler, der ihm zu halten verbietet und das Leben in Deutschland schwer macht. „Gibt es denn kein Plätzchen um die Ecke für Sie“, sucht die Presse zu vermitteln. „Signora! Wenn das so weiter geht, werde ich bald nur noch einen Sarg haben, der mir gehört, und wahrscheinlich nicht mal das, weil die Würmer kommen.“

„Frühstückspause?“Thomas Mathiak erntet stummes Nicken. Zurück zur Wache. „Sch...!“Das ist der Fotograf. Auch ein Presseschild schützt vor Knöllchen nicht.