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Die Stadt im Spiegel ihres Vorbilds

■ Ein Hamburger Symposion diskutierte Städtebilder im interkulturellen Austausch

Entspricht das Raumgefüge von Rathausmarkt und Kleiner Alster dem Markusplatz und der Piazetta in Venedig? Und was ist gemeint, wenn in Hamburg vom Venedig des Nordens gesprochen wird? Historisch wurde diese Bezeichnung weniger auf die weit entfernte italienische „Serenissima Repubblica“bezogen als vielmehr einer viel direkteren Rivalin der Hansestadt entlehnt: Amsterdam.

Vergleichsbildungen wie „Elbflorenz“für Dresden oder „Spreeathen“für Berlin formulieren den Anspruch an Stadtbild oder Regierungsform, deuten auf Machtvorstellung oder Wirtschaftsglück, an dem eine Stadt sich messen will. Das vermeintlich bekannte Vorbild macht die Spezifika der eigenen Stadt quasi im Spiegel erkennbar – in Hamburg eben die Charakteristik einer reichen Handelsstadt am Wasser.

Solche Übertragungen von Topoi, spezifisch-komplexen Vorstellungsbildern, sind in der Hamburger Tradition der Kulturgeschichte seit Aby Warburg gut aufgehoben. So paßte das Symposion: Rezeption, Transfer, Transplantat – Ideen und Bilder von der Stadt im interkulturellen Austausch vorzüglich in den elliptischen Bibliothekssaal des Warburg-Hauses. Das Graduiertenkolleg „Politische Ikonographie“leistete damit diese Woche seinen Beitrag zum Hamburger Architektursommer.

Die Doktoranden Rainer Donandt, Thomas Hensel und Nina Möntmann hatten neunzehn Referenten versammelt, die sich drei Tage mit Leitbildern städtischer Identität befaßten. Dabei war der Horizont weit gesteckt: Von der Florentiner Domkuppel Filippo Brunelleschis zum Ungersbau der Hamburger Kunsthalle, von der Rezeption der Athener Akropolis im Werk des Architekten Le Corbusier zum „amphibischen“Charakter Hamburgs, von den Lobeshymnen des barocken Wanderers Wolfgang Schmeltzl auf die Stadt Wien zu der desaströsen Annäherungssequenz auf der Autobahn in Fellinis Film Roma erstreckten sich die Vorträge.

Die ganze Geschichte der Wahrnehmung von Stadtraum wurde erkennbar, von ersten Schritten aus der ummauerten Stadt des Mittelalters zum Überblick durch Türme, Vogelschaukarten und Panoramen bis hin zur erneut selektiven Wahrnehmung durch Ausblendung störender Stadtbezüge zugunsten individueller, genialischer Architektur und kunstpalmenbesetzter Einkaufshallen.

Die aktuell krisenhafte Situation der Repräsentation macht es schwer, ein verbindliches Bild der Stadt zu finden. Um so faszinierender sind die Sinnangebote, die die Kunstwissenschaft erinnern oder konstruieren kann. Dabei kommt auch das Vergnügen nicht zu kurz, eher abseitiges Wissen zu aktivieren. Ein Referat bewies ebenso schlüssig wie polemisch die Herleitung der Galerie der Gegenwart aus nationalkonservativem Geist: Vorbild sei das Kastell von Lucera, eine staufische Palast-Festung, die Kaiser Friedrich II. in Apulien in den 1220er Jahren als würfelförmigen Bau auf einem Pyramidenstumpf erbauen ließ.

Hajo Schiff

Abbildung: Martin Hallers alternativer Wettbewerbsentwurf von 1876 für das Hamburger Rathaus. Entnommen aus: „Martin Haller. Hamburg, Berlin, Paris. Leben und Werk 1835 – 1925“, herausgegeben von Wilhelm Hornbostel und David Klemm, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 1997.

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