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Die Geisterstadt in der Marsch

Neu-Allermöhe-West wird nicht fertiggebaut. Die staatliche Wohnungsbauförderung wurde klammheimlich umgeleitet in den neuen Schlafstadtteil Rahlstedter Höhe  ■ Von Heike Haarhoff

Kein Bagger, nirgends. Die Ausschachtungsarbeiten ruhen auf Hamburgs größter Baustelle, dem Neubaugebiet Neu-Allermöhe-West. Bereits begonnene Rohbauten werden zwar noch fertiggestellt, weitere geplante Neubauten jedoch bis auf weiteres nicht mehr realisiert. 5.600 Wohnungen sollten es werden, knapp 2.300 sind schon fertig, 700 im Bau, der Rest liegt auf Eis. Geisterstadt Neu-Allermöhe-West?

Grund für den Baustopp ist mangelnde Staatsknete. „Tatsache ist, daß es 1997 keine öffentlichen Fördermittel für Neu-Allermöhe-West gegeben hat“, klagt Eberhard Brandt, Vorstandsvorsitzender der Allgemeinen Deutschen Schiffszimmerer-Genossenschaft. Sie wird deswegen 120 bereits baurechtlich genehmigte Wohnungen nun nicht bauen. „500.000 Mark Planungskosten“, stöhnt Brandt, könne er in den Wind schreiben, „denn wahrscheinlich kommt Neu-Allermöhe-West auch 1998 nicht in die Förderung“. Burkhard Pawils vom Altonaer Spar- und Bauverein (120 zurückgestellte Wohnungen) spricht gar von „Kosten im Millionenbereich“.

Unzufrieden sind auch die Gesellschaft für Bauen und Wohnen GWG, die Baugenossenschaft Bergedorf-Bille und die Wohnungsbaugenossenschaft Kaifu-Nordland. Für den Stadtteil in den Vier- und Marschlanden, sagen die Bauherren übereinstimmend, sei behutsameres Bauen zwar wohl die bessere Lösung. Denn noch immer fehlen Straßen, S-Bahn-Anschluß, Läden, Jugendeinrichtungen und Kneipen. Ohne diese Infrastruktur sei es schwierig, Mieter in die Wohnungen in unattraktiver Lage zu locken. Zumal, so Eberhard Brandt, „derzeit der Wohnungsmarkt in Bergedorf leergefegt ist“. Dennoch hatten sie alle fest damit gerechnet, daß ihre Mietshäuser – bereits 1996 beantragt – in das städtische Wohnungsbauprogramm aufgenommen würden.

Sie wurden enttäuscht: Jährlich werden aus diesem Topf hamburgweit 3.900 neue Mietwohnungen öffentlich gefördert, Neu-Allermöhe-West jedoch ging leer aus. Warum?

Achselzucken bei der Wohnungsbaukreditanstalt Hamburg. „Wir vergeben zwar die Mittel“, sagt die Referentin für Grundsatzfragen, Sabine Libuda, „aber die Prioritäten, wer überhaupt in das Wohnungsbauprogramm aufgenommen wird, setzt allein die Baubehörde.“Deren Sprecher Matthias Thiede führt die mißliche Lage zurück auf den „Umstand, daß das Programm so gut lief, daß wir 1997 mehr förderungsfähige Anträge als Mittel hatten“.

Bereits im März dieses Jahres war das gesamte Geld verplant, gestand der Senat unlängst in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Abgeordneten Andreas Mattner. Um die „Sozialwohnungsbaukonjunktur zu erhalten“, so Thiede, habe man daraufhin im Frühjahr sogar auf das Kontingent für 1998 vorgegriffen und vorab schon mal 1.500 Wohnungen bewilligt. Das Geld allerdings fließe erst im nächsten Jahr, dann aber „querbeet über die ganze Stadt verteilt“.

Auch der Senat will von einem Baustopp in Allermöhe nichts wissen: „Die Entwicklung eines Stadtteils erfordert immer mehrere Jahre“, speiste er jüngst den sorgenvoll anfragenden SPD-Abgeordneten Gunter Barnbeck ab.

Die Baugesellschaften dagegen erfuhren anderes von Baubehörde und Senat: „Die Mittel für die 1.500 vorweggenehmigten Wohnungen“, sagt Wolfgang Schult, Vorstand der Kaifu-Nordland, „fließen allesamt in das Neubauprojekt Rahlstedter Höhe.“Die Stadt habe das dortige Gelände der ehemaligen Boehn-Kaserne nur deswegen zu einem äußerst günstigen Preis vom Bund erwerben können, weil sie sich im Gegenzug verpflichtete, „daß dort bis zu einem bestimmten Zeitpunkt öffentlicher Wohnungsbau realisiert wird“. Anderenfalls erhöhe sich der Grundstückspreis. Daß „die Bebauung der Konversionsfläche für Hamburg Priorität hat“, vermutet auch Eberhard Brandt von der Schiffszimmerer-Genossenschaft.

Haushaltsrechtlich, befinden derweil GAL und CDU, sei gegen die Vorweggenehmigung – künftig geänderte Regierungsverhältnisse hin oder her – kaum etwas einzuwenden. Zumal das Geld ja in Bauprojekte fließe, die längst von der Bürgerschaft und zumeist „legislaturperiodenübergreifend“beschlossen worden seien.

Nur die Frage, ob es sinnvoll sei, eine halbfertige Baustelle sich selbst zu überlassen, um an anderer Stelle einen weiteren Schlafstadtteil aus dem Boden zu stampfen, mag dieser Tage niemand beantworten. „Nach den Koalitionsverhandlungen“, stöhnt es aus den Fraktionen. Dann aber werden die Bagger bereits auf die Rahlstedter Höhe gerollt sein.

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