: Mafia-Aussteiger beim Wiedereinstieg ertappt
■ Der Mafia-Prozeß gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti droht zu kippen: Der Hauptbelastungszeuge, vom Staat großzügig abgefunden, ist erneut verhaftet
Rom (taz) – Große Aufregung in der Staatsanwaltschaft Palermo: Balduccio Di Maggio, einer der wichtigsten Mafia-Aussteiger der 90er Jahre, ist unter dem Verdacht festgenommen worden, den Auftrag zur Beseitigung alter Feinde gegeben zu haben. Am Mittwoch und Donnerstag wurden zwei weitere Kronzeugen (italienisch „Pentiti“) gegen die Mafia festgenommen, Santino Di Matteo und Gioachino La Barbera, beide wie Di Maggio auch in das tödliche Sprengstoffattentat gegen den früheren Mafia-Jäger Giovanni Falcone verwickelt.
Di Maggio, der zur Gründung einer neuen Existenz vom italienischen Staat eine einmalige „Beihilfe“ vom umgerechnet etwa 500.000 Mark bekommen hatte, soll nach Indiskretionen aus dem Justizpalast Palermos seine neu-alten Aktivitäten mittlerweile eingestanden haben, die beiden anderen leugnen jegliche Beteiligung an dem von den Ermittlern so genannten „Clan der Pentiti“. Dennoch geht die Staatsanwaltschaft davon aus, daß die drei versuchen wollten, in ihrem Heimatort San Giuseppe Jato die Macht zu übernehmen, nachdem der dortige Obermafioso Giovanni Brusca festgenommen worden war und mittlerweile seinerseits mit der Polizei zusammenarbeitet.
Erweisen sich die Anschuldigungen gegen Di Maggio als fundiert, wird damit nicht nur die Figur der „Kronzeugen“ belastet, mit deren Hilfe italienische Gerichte mittlerweile mehrere hundert Mafiosi verhaften und verurteilen konnten: Auch der bisher spektakulärste Mafia-Prozeß könnte in Kürze kippen. Di Maggio nämlich ist der Hauptbelastungszeuge gegen den siebenmaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti, 77. Di Maggio, lange Zeit persönlicher Chauffeur des obersten Mafia-Bosses Toto Riina, hat vor Gericht ausgesagt, Andreotti höchstpersönlich zu geheimen Treffen mit seinem Chef gefahren und dort herzliche Umarmungen, ja sogar den spezifisch mafiosen Wangenkuß zwischen den beiden beobachtet zu haben.
Die Staatsanwaltschaft Palermo hat die Berichte Di Maggios als glaubwürdig eingestuft, da dieser seine Abkehr von der Mafia durch viele wichtige Geständnisse und Hinweise unter Beweis gestellt hatte. In der Antimafiazentrale Palermos beeilen sich die Staatsanwälte denn auch, nun säuberlich zwischen der Richtigkeit der in den verschiedenen Prozessen gemachten Aussagen Di Maggios und seiner Charakterfestigkeit zu unterscheiden. „Daß wir nicht so blauäugig sind zu glauben, alleine der Ausstieg aus dem bisherigen Umfeld mache aus einem Mafioso einen blütenreinen Engel“, versichert Oberermittler Gian Carlo Caselli, „geht schon daraus hervor, daß wir selbst es ja waren, die das Mordkomplott Di Maggios gegen seine früheren Rivalen aufgedeckt haben.“
Giulio Andreotti jedenfalls spürt starken Rückenwind. Er habe doch seit jeher gesagt, daß Di Maggio nichts anderes sei als ein Räuber und Mörder und, ganz natürlich daher, auch ein Mensch, der niemals die Wahrheit sage, ließ Andreotti über seine Verteidiger verlauten.
Bestätigt fühlen sich nun alle, die die Figur des Kronzeugen sowieso abschaffen wollen – darunter auch viele, die vor allem an sich selbst denken, so etwa der Oppositionsführer im italienischen Parlament, Silvio Berlusconi. Dessen früherer engster Mitarbeiter Marcello Dell' Utri steht derzeit in Sizilien ebenfalls unter Mafia-Anklage, und wenn nicht alles täuscht, wird auch Berlusconi selbst durch zahlreiche Aussagen ausgestiegener Mafiosi schwer belastet – er soll in den 80er Jahren eifrig bei der Wäsche mafiosen Geldes mitgewirkt haben. Werner Raith
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