: Vorschieben eines eleganten Riegels
■ Funktionalismus, verkommen: Ideenwettbewerb suchte nach Bebauungsmöglichkeiten für den Teerhofrest
Form follows funktion. Seit ich mit einem Alessi Zitronenpressenmännchen erfolgreich eine Fliege an der Wand zerquetschte, glaube ich Sullivans Gebot nur noch bedingt. Multifunktionalität ist möglich. Viel radikaler befreit von der Idee einer Form-Inhalt-Korrelation hat sich allerdings der Bausenator, als er einen „Ideenwettbewerb“für die Gestaltung des 100 x 50 Meter großen Parkplatz-Flicken auf dem Teerhof ausschrieb. Wegen der Ebbe im städtischen Säckel ist man für die Gestaltung des letzten städtischen Flußstücks angewiesen auf private Investoren. Und wo die ihren Geldsegen lokalisieren ist vorerst unklar: Hotel, Büros, Wohnungen, who knows?
Gesucht war also eine Form, nackt, funktionslos, fensterlos, farblos, universel verwendbar. Sie hat so tolerant zu sein wie eine Einkaufstasche. Der ist es nämlich auch egal, ob Gemüse oder Wurst reingestopft wird. Fragt man die ersten Preisträger, Erika Mühltahler und Michael Schröder von „Schröder Architekten“, in welchen Materialien und mit welchen Fenstertypen sie sich ihren prämierten Riegel denn vorstellen könnten, erntet man Hohn und Spott: „Wir sind hier schließlich kein Baustoffwettbewerb. Haha.“Dabei weiß doch jeder echte Jeansträger, daß es Dinge gibt, die nur eine einzige Farbe zulassen. Alles andere wäre Verrat. Selbst manche Maler – so hört man – sollen Form, Farbe und Material aufeinander abstimmen.
Egal. In die engere Wahl kamen seltsamerweise nur Modelle, die in ihrer eleganten Schlichtheit an das Bauhaus anknüpfen. Funktionalismus, verkommen zur noblen Geste, aber nicht mehr ernst genommen als Grundkonzept des Bauens.
Die mit soldatischer Strenge gruppierte Balkenlandschaft am Teerhof soll also durch einen weiteren Riegel ergänzt werden. Daß der Entwurf von Schröder Architekten den landschaftlichen Gegebenheiten entsprechend in spitzem Winkel zu den Teerhofreihenhäusern steht, nennt man in Zeiten gestalterischer Verklemmtheit wohl architektonischen Mut. Bei der Preisverleihung wurde der steife Wurm gelobt für die gelungene Überleitung, die er zwischen Wohn- und Büroareal der Weserhalbinsel herstellt. Wenn man Mittelmäßigkeit mit Mittelmäßigkeit verbindet, erntet man aber nur Mittelmäßigkeit; eine Frage der Logik. Der Schröder/Mühltahler-Riegel nimmt exakt die Höhe des Teerdorfs auf und arbeitet sich in dezenten Treppchen auf das Niveau des anschließenden Bürohauses hinauf. Nur nicht die gerade Linie stören, nicht auffallen, niemanden stören, nichts tun oder sagen, was als Geschmacklosigkeit eingeordnet werden könnte. Als „Idee“bezeichnet werden können lediglich die zwei – in der Tat sehr geschmackvoll gelegten – Durchschüsse durch das Gebäude. Der Dom hat gute Chancen auch im nächsten Jahrhundert das markanteste Gebäude der Stadt zu bleiben.
Unter den 109 eingereichten Plänen beweisen durchaus einige davon die Chuzpe, Zeichen zu setzen. Da träumt jemand von einer riesigen Videoleinwand, die für Kunst in der Stadt wirbt. Ein anderer will einen Kanal durch den Landstreifen graben und den Teerhof zur echten Insel isolieren. Ein dritter fantasiert von einer Mischung aus Zwingburg und Segelschiffzitaten. In diesem Entwurf würde man sogar spielende Kinder nicht als taktlosen Stilbruch empfinden. Und mancher Planer sägt an DEM Tabu der Deutschen, der Zurückhaltung in Sachen Höhe. Restlos umwerfen tut – zumindest auf den ersten Blick – keiner der ausgestellten Entwürfe. Guter Geschmack in der Zurückhaltung darf aber auch keine Lösung sein.
Wenn in Zeiten griesgrämelnder Rezession weder Geld noch Ideen da sind für spektakuläre Lösungen, dann sollte man mit der Bebauung ganz einfach warten. Schließlich ist die Teerhof-Lücke das letzte Grundstück, mit dem Bremen Flagge zeigen kann. Und die sollte nicht aus mausgrauem Tuch gewebt sein.
Noch ist nichts entschieden. Mit dem Wettbewerb verfolgte die Stadt strategische Ziele. Eine bunte Palette visionärer Möglichkeiten soll potentielle Investoren locken. Hoffentlich haben die Lust auf Originalität. bk
ab Freitag sind Pläne und Modelle des Ideenwettbewerbs im Planungsamt, Langenstraße 38 zu besichtigen
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