: Mörderischer Haß
Eamon Collins war ein IRA-Geheimdienstler, seine Informationen führten zum Mord. In einer Autobiographie beschreibt er den Terror und warum er ihm nicht mehr folgt ■ Ralf Sotscheck
Anfang der achtziger Jahre gehörte Eamon Collins der Irisch- Republikanischen Armee an. Der heute 43jährige war Nachrichtenoffizier in der nordirischen Grenzstadt Newry, und seine Aufgabe war es, potentielle IRA-Opfer auszuspionieren. Mindestens 15 Menschen sind aufgrund seiner Informationen ermordet worden. Dann, 1985, wurde er geschnappt.
Die IRA hatte bei einem Mörserangriff auf das Polizeirevier in Newry neun Beamte getötet. Obwohl Collins an dem Anschlag nicht beteiligt war, brachte man ihn ins berüchtigte Gough-Verhörzentrum. Sein Angebot, gegen Straffreiheit auszupacken, lehnten die Polizisten ab, boten ihm aber eine mildere Strafe für die fünf Morde an, die man ihm anlastete. Collins ließ sich darauf ein, vielleicht weil man ihn bei den Vernehmungen schwer geprügelt hatte. Zwölf IRA-Männer wurden daraufhin verhaftet. Auf Druck seiner Frau nahm Collins die Aussage später wieder zurück, die Männer kamen frei. Vor Gericht jedoch erklärte er, daß die Polizei ihn gezwungen habe, die fünf Morde zu gestehen. In Wirklichkeit seien es andere gewesen. Er nannte die Namen, darunter den seines Cousin.
Der Richter – unter den nordirischen Sondergesetzen finden IRA- Prozesse ohne Geschworene statt – glaubte ihm. Collins wurde freigesprochen, die Männer, die er jetzt beschuldigt hatte, kamen für zehn Jahre ins Gefängnis. Die IRA verwies ihn aus Nordirland, doch ein paar Jahre später kehrte er zurück. Heute lebt er mit seiner Frau und vier Kindern wieder in Newry, unbehelligt von seiner ehemaligen Organisation. Seine Läuterung zum Friedensaktivisten sei unerschütterlich, sagt er, und er bereue seine früheren Taten. Manchmal begegnet er auf der Straße den Angehörigen seiner Opfer. Gleichzeitig entschuldigt sich Collins aber auch bei den ehemaligen Genossen, die er ins Gefängnis gebracht hat. „Ich habe sie verraten, und das war falsch.“
In seiner eben auf deutsch erschienen Autobiographie – geschrieben in dem Wissen, daß er für dieselbe Sache nicht zum zweiten Mal angeklagt werden kann – läßt er Namen weg, sofern sie nicht ohnehin bekannt sind. Das in England als Thriller rezensierte Buch „Blinder Haß“ ist so widersprüchlich wie der Autor, der sich selbst als „ein Durcheinander von Gegensätzen“ bezeichnet. Er beschreibt die IRA als „reaktionäre rechtsgerichtete Bewegung“, deren Aktionen er für „unbegreiflich barbarisch“ hält. Er erzählt zum Beispiel, daß die IRA einen Agenten der Elitetruppe SAS erschossen und dann in einer Metzgerei durch den Fleischwolf gedreht habe. „Schon damals“, schreibt Collins, „als ich schon bei einer Reihe von Morden mitgewirkt hatte, hielt ich es nicht für richtig, den Angehörigen den Leichnam vorzuenthalten.“
Guter Insiderblick auf die IRA und Sinn Féin
Dann aber erzählt er mit der Genauigkeit eines Beamten, wie er seinen Kollegen Ivan Toombs vom Zollamt, wo Collins damals arbeitete, ausspionierte. Er lernte dessen Frau und Kinder kennen, machte sich mit seinen Gewohnheiten vertraut – den Mord erledigten andere IRA-Mitglieder. Toombs war Major im Ulster Defence Regiment, der ehemaligen nordirischen Einheit der britischen Armee. Deren Mitglieder galten als legitime Angriffsziele, hatten sie das Regiment jedoch verlassen, waren sie laut IRA-internen Gesetzen tabu.
Im Falle Norman Hannas unterlief Collins ein Fehler, weil er sich auf einen Informanten verlassen hatte: Hanna war bereits sechs Jahre kein UDR-Mitglied mehr, als er von Collins' Einheit vor Frau und Kindern erschossen wurde. Collins bedauert den Irrtum zwar, rechtfertigt ihn jedoch damit, daß seine Leute bei der Aktion militärische Erfahrungen gewonnen haben. Sehr oft verrät die Autobiographie nicht, ob Collins mit der alten brutalen oder seiner neuen geläuterten Stimme spricht.
„Collins hat den Abzugshahn nie selbst betätigt“, sagt Danny Morrison, der frühere Pressechef von Sinn Féin, dem politischen Flügel der IRA, „aber er spricht von seiner Macht über Leben und Tod, als ob er Gott wäre.“ Morrison behauptet, daß Collins es mit der Wahrheit manchmal nicht sehr genau nehme – zumindest in der Passage, die Morrison selbst betrifft. Im Buch wird beschrieben, wie ein IRA-Freiwilliger nach dem Mord an dem angeblichen Verräter Brian McNally von der Polizei verhört worden ist. Ein Polizist soll dabei gesagt haben: „Dein Kamerad, Brian McNally, ist von den Provos erschossen worden, aber dieses Arschloch Danny Morrison ist morgens um vier Uhr von einem Spähtrupp der Armee gesehen worden, wie er mit einem Stoppelbart die Grenze überquerte. Er war an der Ermordung deines Freundes McNally beteiligt. Er ist extra aus Belfast gekommen, um das OK mitzuteilen. Der gute alte Danny, der oberste Lordrichter persönlich.“ Morrison versichert aber, daß die Polizei ihn in dieser Sache nie vernommen habe. „Der Begriff ,oberster Lordrichter‘ wurde zum ersten Mal 1993 vom Readers Digest benutzt“, sagt Morrison, „nachdem ich wegen Beteiligung an der Freiheitsberaubung eines geständigen Polizei-Informanten verurteilt worden war. Ich glaube, Eamon schießt hier über sein Ziel hinaus.“
Dennoch ist Collins Autobiographie glaubwürdig. Es liefert einen guten Einblick in die Operations- und Denkweise der IRA und Sinn Féin, und es erklärt, warum die Organisation bei Teilen der Bevölkerung Ansehen genießt. Die beste Werbeagentur für die IRA, das wird auch bei Collins deutlich, waren schon immer die „Sicherheitskräfte“, die mit ihren Schikanen und ihren gewaltsamen Methoden die Jugendlichen aus den Ghettos scharenweise in den bewaffneten Kampf getrieben haben.
Collins beschreibt auch die Auseinandersetzungen, die er mit dem IRA-Führungsstab hatte. Man verlangte von seiner Einheit, daß sie mit IRA-Leuten zusammenarbeitete, die auf der Flucht waren. Weil seine Leute das für ein Sicherheitsrisiko hielten, stiegen sie aus und Collins mußte eine neue Einheit rekrutieren. Ein anderes Mal verübte die Newry-Brigade ausgerechnet in der Gegend einen Anschlag, in der Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams gerade Urlaub machte. Die Order kam, sich bis zum Urlaubsende ruhig zu verhalten, doch Collins Leute dachten sich: „Jetzt erst recht.“
Mit Hilfe Mick McGoverns, eines Journalisten des Observer, hat Collins ein spannendes Buch zustande gebracht. Der deutschen Übersetzung ist ein Glossar nachgestellt. Warum der deutsche Übersetzer an einigen Stellen Zitate glättete, deren Sprache doch soviel aussagt, ist unverständlich. Wo im Original das – bei Collins stets als Beleidigung gemeinte – Wort „cunt“, also „Fotze“ steht, heißt es im Deutschen anatomisch inkorrekt „Arschloch“. Zwar ist „cunt“ in dem Buch nie direkt auf Frauen gemünzt, doch was Collins von ihnen hält, wird an anderen Stellen deutlich. „Eigentlich war mir Maureen gleichgültig“, schreibt er über eine Freundin. „Die Tatsache, daß sie nicht länger ,zu haben‘ war, erschien mir recht unwichtig.“ Auch hier ist der Übersetzer gnädig: Im Original steht „zu haben“ nicht in Anführungszeichen. Und von Natur aus sind Frauen bei Collins geschwätzig, woraus der Übersetzer macht: „Was die Frauen nicht wußten, das konnten sie auch nicht erzählen – weder ihren Freundinnen noch ihren Angehörigen oder gar bei Vernehmungen der Polizei.“
Im Oktober 1995 erlitt Collins einen Herzinfarkt, danach verfaßte er das Buch. „Ich wollte nicht in dem Bewußtsein sterben, daß mein Handeln zu nichts geführt hatte, was der Mühe wert war“, schrieb er in der Einleitung. „Nun aber hoffe ich, daß irgendwer irgendwo etwas Nützliches aus meiner Lebensgeschichte lernen wird.“ Wäre er ausgestiegen, wenn man ihn nicht geschnappt hätte? Er hat der IRA erst den Rücken gekehrt, als er verurteilt wurde. Danny Morrison drückt es so aus: „Er sah das Licht erst, als er die Länge seiner Gefängnisstrafe sah.“
Eamon Collins mit Mick McGovern: „Blinder Haß. Autobiographie eines irischen Terroristen“. Aus dem Englischen von Klaus Kochmann. S. Fischer Verlag, Frankfurt 1997, 432 Seiten, 44 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen