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Schwulst im Overkill

■ Das Staatsorchester und Verstärkung präsentierten zweifelhafte Ausgrabung

„Läßt sich das moderne Leben nicht mit Humor und Grazie zugleich behandeln?“fragte 1925 der Deutsch-Italiener Ermanno Wolf-Ferrari. Gelegentlich erscheinen auf den Spielplänen der Opernhäuser seine Buffo-Opern „Die neugierigen Frauen“, „Die vier Grobiane“oder auch „Susannens Geheimnis“– einst ein Welterfolg – , aber auch diese Werke fristen heute eher ein Schattendasein und verhelfen aufgrund ihrer veralteten Ästhetik nicht unbedingt mehr zu befreienden Lachsalven. Jetzt hat Günter Neuhold, lobenswert rührig und einfallsreich im Entdecken, das 1901 komponierte Oratorium „La Vita Nuova“op.9 im zweiten Philharmonischen Konzert aufwendig aufgeführt. Es bleibt sein Geheimnis, was ihn dazu bewogen haben mag, dieses durch und durch ana-chronistische Werk – irgendwo zwischen Verdi und Bach, zwischen Strauss und Wagner, zwischen Puccini und Pfitzner und immer auch alles zusammen – dem Publikum als eine bereichernde Entdeckung zu präsentieren. Möglicherweise hat ihn der zentrale Satz – Beatrices Tod – fasziniert, aber auch die verführerisch-raffinierte Klanglichkeit dieses Satzes wirkt vom Marschgestus bis hin zu den Kirchenglocken klischeehaft.

Es geht in diesem Oratorium um Dante Alighieris Wunderfrau Beatrice, besprochen (Lutz Landemann) und ohne Ende bis zu ihrem Tod und ihrer Verklärung in Sonetten besungen von einem Bariton (schön, aber mit argen Problemen in der Höhe: Björn Waag). Beatrice selbst darf nur einmal am Anfang und einen Satz am Ende singen (etwas grell: Kristen Strejc).

Hält man sich mit wirklich gutwilligem Hören daran fest, wie unkonventionell (vielleicht) Wolf-Ferraris Einfälle sind, indem er vom Soloklavierlied über das Melodram bis zur Arie und zum großen Orchestertableau so ziemlich alle denkbaren Gattungen komponiert, so geht ein schlüssiger inhaltlicher und stilistischer Zusammenhang immer mehr verloren, ersäuft zum Teil in schwülstigem Pathos, zum Teil in vollkommenem stilistischen Auseinanderfallen. Der Riesenaufwand – leidlich gut trainiert die Singakademie (Theo Wiedebusch), der Bremer Domchor (Wolfgang Helbich) und der Kinderchor des Gewandhauses Leipzig (!) – scheint mir zum Ausgrabungswert des Werkes in krassem Mißverhältnis zu stehen. Nichtsdestotrotz war die musikalische Ausführung den Umständen entsprechend überzeugend. Wir sind froh über alles Neue in diesen Konzerten. Aber bitte nicht um jeden Preis und nicht als Selbstzweck.

Ute Schalz-Laurenze

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