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Viel Prunk und Pracht

Stephen Fry ist ein perfekter Oscar Wilde in einer ansonsten zwar reich kostümierten, aber ratlosen Verfilmung der Biographie des englischen Schriftsteller-Dandys  ■ Von Gerrit Bartels

Schaut man die Anfangsszene von Brian Gilberts „Oscar Wilde“ an, glaubt man zuerst in einem falschen Film gelandet zu sein: Tief im Wilden Westen von Amerika gibt Oscar Wilde (Stephen Fry) 1882 vor ausgewählter Zuhörerschaft Bonmots zum besten und besichtigt dann noch eine Silbermine, wo ihn eine Schar enorm gut aussehender, junger Minenarbeiter ebenfalls zu einigen Sinnfälligkeiten hinreißt. Biographische Pflichtübung – Wilde war fast ein Jahr lang in Amerika auf Vortragsreise – oder energischer Wink mit dem Zaunpfahl?

Eher letzteres. Denn ziemlich schnell hakt der Film Wildes Eheleben mit seiner Frau Constance (Jennifer Ehle) und die Reaktionen auf das Erscheinen von „Das Bildnis des Dorian Gray“ ab, um schließlich konsequent und zugespitzt die Geschichte von Oscar Wildes homosexuellem Liebesleben zu erzählen, das Wilde im spätviktorianischen England Kopf und Kragen kostete: Des Spätdreißigers Wilde erste Bettgeschichte mit Robert Ross (Michael Sheen), den Wilde in Oxford als 17jährigen Knaben kennenlernte (und der Wilde bis an dessen Lebensende ein Freund bleiben sollte); Flirts mit anderen Jünglingen; die erste Begegnung mit Bosie alias Lord Alfred Douglas (Jude Law), dem Wilde letztendlich verfiel, im doppelten Wortsinn; Wilde mit Bosie beim Essen, Wilde mit seinen Jungs im Theater, Wilde mit Bosie und Stricherjungen usw.

Gilbert wollte zwar auch die Rolle von Oscar Wilde als Ehemann und treusorgender Familienvater als einen bisher noch unbekannten Aspekt herausstreichen – und tut das auch in zahlreichen Interludes, in denen Wilde seinen Söhnen oft und gern die Geschichte von dem gar nicht so bösen Riesen aus seinem Märchen „The Selfish Giant“ erzählt. Doch stringent verläuft der Film Richtung „Gerichtsprozeß“, den Wilde mit einer Verleumdungsklage gegen Bosies Vater anstrengt und der ihn am Ende selbst auf die Anklagebank führt und schließlich im Gefängnis landen läßt.

Der Rest ist schmückendes Beiwerk. Der Film präsentiert ausschweifend und perfekt Prunk, Pracht und Kostüme in Wildes Leben und Umgebung, vorzugsweise in golden-braun-purpurnen Tönen. Nur ahnen läßt sich da, daß Wilde ein wenig mehr als ein die damalige englische Gesellschaft provozierender Homosexueller war, ein Dandy, Ästhet und Non- konformist, sondern auch ein Schriftsteller, Lyriker, Essayist und Stückeschreiber, der Kunst und Leben wechselweise miteinander verquickte und dafür auch sehr hart arbeitete. Ebenfalls nur erahnen lassen sich die Zwiespälte, in die Wilde geriet, als er sich so langsam bewußt wurde, daß er mit dem eiskalten Bosie und seinem querulatorischen und geltungsbewußten Vater auf einen Abgrund zusteuern würde: „Stelle ich mich weiter zwischen Bosie und seinen Vater, vernichten sie mich“, sagt er immerhin einmal. Und auch die Entscheidung, die Verleumdungsklage anzustrengen, das Land nicht zu verlassen und bis zum bitteren Ende sich gegen das Urteil „widernatürlicher Unzucht“ zu wehren, hätte man durchaus ein wenig dramatischer und mit mehr psychologischen Zwischentönen versetzt zeigen können.

Gilberts Film wirkt da eine Idee zu nüchtern und distanziert; er läßt zwar keine Langeweile aufkommen, zeichnet letztendlich aber nur auf – auf der Grundlage der Wilde- Biographie des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Richard Ellman, original bis in den kleinsten Dialog. Des öfteren fragt man sich, was das Ganze eigentlich soll, warum es Brian Gilbert – der mit „Tom&Viv“ schon die Szenen einer Ehe von T.S. Elliot verfilmte – so reizte, einen Film über Oscar Wilde zu drehen, jetzt und heute und überhaupt. Vielleicht weil es ein Herzensanliegen des englischen Schauspielers Stephen Fry war, der als Oscar Wilde wirklich großartig ist: Selber Schriftsteller und sexuell nicht eindeutig orientiert, interpretiert er Wilde mal maliziös lächelnd, mal ein wenig bekümmert aussehend, mal leer und schlaff. Und bis aufs Haar genau sieht er so aus, wie der französische Journalist und Schriftsteller Marcel Schwob Oscar Wilde nach einer ersten Begegnung in Paris beschrieben hat: „Ein großgewachsener Mann mit ausladendem, teigigem Gesicht, roten Wangen, spöttischem Blick, schlechten, vorstehenden Zähnen und einem lüsternen Kindermund mit milchweichen Lippen, die gleichsam nach immer mehr verlangen.“

„Oscar Wilde“. Regie: Brian Gilbert, Buch: Julian Mitchell. Mit Stephen Fry, Jude Law, Vanessa Redgrave, Jennifer Ehle, Michael Sheen u.a.

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