Michael Schumacher, der Halbgott in Rot mit dem Charisma eines Musterschülers, läuft wohl kaum Gefahr, vorzeitig in den Himmel zu kommen. Erstens fährt der Deutsche einfach zu kontrolliert, zweitens fehlt ihm das Zeug zum echten Star Von Jan Feddersen

Der Himmel muß warten

Da lag er im Kiesbett und zeigte keine Regung. Keine Faust, die er beim Jubel aus dem Cockpit herausstreckt. Kein Triumph, kein Happy-End. Als Michael Schumachers Rennwagen gestern beim letzten Lauf der Formel 1 im spanischen Jerez seinen letzten Benzintropfen ausstieß, war es um „Schumis“ Ambitionen auf den dritten Weltmeistertitel geschehen.

Das „Duell des Jahres“, wie RTL, Sponsor und zugleich die hierzulande in der Formel 1 führende TV-Gesellschaft, die TV-Übertragung pries, war nach einer guten Stunde entschieden: Der 28jährige Mann aus der Eifel hat nicht zum dritten Mal nach 1994 und 1995 den Titel in der lukrativsten Motorsportdisziplin gewonnen.

Das „Schumi-Fieber“, das Bild seit jeher anfeuert, ist nicht zum Happy-End geronnen; die von der Bild am Sonntag gestern noch stellvertretend für seine zehn Millionen Leser geschlagzeilte Hoffnung („Schumi, schenk uns den Sieg“) durfte nicht in Erfüllung gehen. Gewonnen hat der Kanadier Jacques Villeneuve mit der besseren Renntaktik; selbst Schumachers „Abschußversuch“ (Deutsche Presse-Agentur) in der 48. Runde des letzten Saisonrennens fruchtete nichts, im Gegenteil: Der spätere Weltmeister mit den gefärbten Blondhaaren ließ sich nicht aus der Kurve drängen und parierte das offensichtlich unfaire Tackling Schumachers souverän.

So braucht die Nation nicht überzuschnappen – wie nach Boris Beckers erstem Wimbledon-Sieg – oder zumindest in wachsende Ehrfurcht zu verfallen wie jüngst im Sommer bei Jan Ullrichs siegreicher Schinderei bei der Tour de France. Die Einschaltquoten für den Kölner Sender RTL werden für die gestrige Rennübertragung aus Spanien mutmaßlich Spitzenwerte erreicht haben. Doch die Kalkulation des Axel- Springer-Verlags, der für heute eine Extraausgabe von Sportbild ankündigte, wird nur schwerlich aufgehen: Nichts liegt so schwer an den Kiosken wie ein Heftchen über einen abgeblitzten Weltchampion. Doch ob dieses gewisse Quentchen glücklicher Hysterie wie 1985 oder 1986 bei Boris Becker Michael Schumacher überhaupt je wird provozieren können, ist sowieso fraglich: Der Mann fährt einfach zu verläßlich gut.

Während der Tenniscrack Becker selbst nach einem grandiosen Grand-Slam-Erfolg immer gut war für ein Erstrundendebakel bei einem Turnier minderer Güte, ist bei Schumacher immer gewiß: Menschliches Versagen ist bei ihm so gut wie ausgeschlossen. „Schumi“, wie ihn die Boulevardzeitungen und seine Fans gerne nennen, dementiert durch sein Verhalten jede Kumpeligkeit. Er fährt einfach sehr gut Automobil, weil er eben sehr gut mit Schaltung und Bremse – selbst und gerade bei widrigsten Witterungsverhältnissen – umgehen kann. Das war auch der Grund, weshalb ihn der italienische Rennstall Ferrari vor zwei Jahren anheuerte: Die Turiner Konzernleitung wußte, daß nur einer wie Schumacher die Härte und Konsequenz besitzt, die unzulänglichen Ferrari-Motoren wieder konkurrenzfähig zu machen.

So betreibt er seinen Job wie ein deutscher Musterschüler, mehr noch: wie ein Paradeingenieur mit feinem Sinn für das Perfekte, ohne von sich je Göttliches abzufordern – alles andere wäre bei Schumachers Lebenslauf auch wunderlich. Nie hat der gelernte Kraftfahrzeugmechaniker etwas anderes gemacht, als mit treibstoffabhängigen Untersätzen über Rennstrecken zu fahren. Zunächst auf der Kartbahn seines Vaters in der Eifel – die wie zum Ansporn nach dem Rennfahrer Graf Berghe von Trips benannt wurde, dem letzten deutschen Formel-1-Helden. Doch der fuhr sich in den sechziger Jahren in einem Rennwagen zu Tode – was Schumacher wohl nie passieren wird. Er fährt einfach viel zu kalkuliert, als daß er je die Chance hätte, bei der Arbeit ums Leben und damit in den Himmel zu kommen.

Das bedeutet nicht, daß Schumacher der deutschen Automobilfangemeinde so wenig zu Herzen geht wie Michael Stich der Tennisszene. Der Rheinländer mit dem „stromlinienförmigen, antrainierten Dauerlächeln“ (Frankfurter Rundschau) genießt großen Respekt unter Autofreunden. Er ist einer wie sie, nur besser. Er ist nichts, wenn das Rennen vorbei ist. Dann möchte er wieder sein wie alle, die er während seiner Kindheit in Kerpen kennen- und schätzengelernt hat: „Da fragt keiner, ob ich Michael Schumacher bin“, hat der Getriebene einmal gesagt. Geschätzt wird seine Berufsauffassung, die Genauigkeit, mit der er seinen Job versieht.

Selbst der tödlich verunglückte Automobilist Ayrton Senna attestierte Schumacher schon kurz nach dessen Entree in die Formel-1-Szene 1991, über ein außergewöhnliches Feeling für die Macken und Mucken eines hochgezüchteten Boliden zu verfügen. Der Gelobte beschrieb seine Professionalität einmal mit den Worten: „Wer im Motorsport Angst hat, wird nie zurechtkommen. Ihm wird es ergehen wie dem Boxer, der voller Angst in den Ring steigt: Er wird verprügelt.“

Trotzdem muß sich Schumacher außerhalb des Cockpits seines Boliden ständig des Vorwurfs erwehren, nichts als ein Langweiler zu sein. Zwar zeigte er sich als „zwielichtiger Trickser“ (Spiegel), weil er vor Jahren sein Fahrzeug manipulieren ließ. Aber diese Kritik verpuffte unversehens. Die Zeitschrift Sports hämte sogar, der „sprechblasenerzogene“ Rennfahrer wirke „aalglatt“. Seine Lebensphilosophie bündelte er einmal in dem Satz: „Ich bin ein Typ, der versucht, mit jedem zurechtzukommen“ – was in der auf charismatische Figuren gierigen Medienszene einem fast tödlichen Selbstbekenntnis gleichkommt. Während Boris Becker früh lernte, andeutungsvoll über die Zeitläufte zu raunen, sich mit dem alternativen Reihenhausprojekt an der Hamburger Hafenstraße solidarisierte und sich überhaupt mit einer gewissen Distanz zu den Großkopferten der feinen Gesellschaft stilisierte, weiß Schumacher gar nichts zu sagen. Kürzlich erzählte er dem Spiegel, daß er am liebsten in der Schweiz residiere, weil er dort seine Ruhe finde, darüber hinaus sich gerne in Norwegen aufhalte und dort ohne Starnimbus Fußball spiele. Das deutet nicht auf einen eisernen Willen hin, auch verbal irdische Dinge wie Motorengeheul und Benzingestank zu transzendieren.

Lieber profiliert er sich als Unesco-Sondergesandter. Eine ehrliche Haut, dieser Schumacher. Einer, der weiß, daß er seinen Beruf meist virtuos beherrscht: „Mich hat niemand in die Schranken zu weisen, meine Grenzen setze ich mir selbst.“ Ein kühles, nüchternes Statement zum Faktischen. Aber das hätte Boris Becker nie gesagt, höchstens gedacht; das hätte im übrigen auch nur seinen mürben Zauber angekratzt. Schumacher macht dementsprechend auch keine Ausflüge in den Jet-set wie Boris Becker. Nein, das wäre viel zu aufregend. In Monte Carlo ist Schumacher nur gemeldet, weil man dort eben nicht so üppige Steuern zu zahlen hat. Auch gibt Schumacher einen deutschen Mustergatten ab – treu von Jugendtagen bis über die Hochzeit hinaus. Seine Gattin Cornelia wirkt stets wie die Frau an seiner Seite, immer einen Schritt zurück, nichts von Glamour. Barbara Becker hatte ein Leben vor Boris Becker, selbstbewußt und modern – da will ein Paar zu Höherem, da haben sich zwei gefunden, denen die große weite Welt nicht Angst macht. Die Schumachers hingegen – brav und bescheiden. Schumacher aufrichtig: „Aber ich könnte seine Richtung nicht gehen, weil ich nicht der Typ bin.“

Würde Schumacher nach seinem gestrigen Ritt ins Kiesbett zurücktreten, hätte er künftig viel freie Zeit für sein geliebtes, von Fotografen ungestörtes Privatleben. Er müßte, im Sinne des schlichten Arbeitens auf Lohnsteuerkarte, nicht mehr tätig werden. Seine Werbe- und Fahrerverträge haben ihm bis heute ein geschätztes dreistelliges Millionenvermögen eingebracht. Niemand würde Schumacher übelnehmen, hätte er keine Lust mehr.

Der Mann, der der Nation gestern keinen „Sieg“ (Bild am Sonntag) schenkte, teilte am letzten Montag dem Spiegel mit: „Alle Voraussetzungen, daß wir nächstes Jahr ein konkurrenzfähiges Auto haben, sind da. Wenn es dann nicht klappt, wird es wohl nie mehr klappen.“ Wäre er der „Schuldige“ an der Niederlage, „müßte Ferrari die Konsequenzen ziehen. Wenn von der Fahrzeugentwicklung keine Fortschritte erzielt werden, dann müßte ich mir einen anderen Arbeitsplatz suchen.“ So einfach liegen die Dinge für ihn. Man würde sich im gegenseitigen Einvernehmen trennen, da spielen große Gefühle keine Rolle.

Kein Leiden, kein Schmerz über den Verlust spannender Sonntagnachmittage blieben zurück. Ein Mann hat nur seinen Job getan, nicht mehr und nicht weniger. Gestern eher weniger, sogar offensichtlich war Schumacher doch von menschlichen Schwächen wie Nervosität und Streß heimgesucht. War der Rammversuch des Deutschen in der 48. Runde ein Beweis seiner Fehlbarkeit? Oder eine brutale, letzte Finte, um seinen Rivalen von der Strecke zu fegen, wissend, daß Villeneuve über das bessere Material verfügen konnte?

Jacques Villeneuve analysierte nur: „Er hatte entweder die Augen zu oder ein Lenkproblem.“ Das muß Schumacher weh tun: Nie soll ihm jemand vorwerfen, ein Problem mit dem Lenkrad, geschweige denn mit den Augen zu haben. Spätestens im März wird sich Schumacher vornehmen, beim Rennen immer wach zu bleiben – dann geht die neue Saison los.