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Zwischen Politik und Ketzertum

■ Der katholische Jugendverband BDKJ feiert sein 50jähriges Bestehen. Die aufmüpfigen Jugendlichen wurden von der Amtskirche domestiziert. Zur Bundestagswahl wollen sie sich wieder einmischen

Der Bischof war des Lobes voll. Sein Dank gelte zum 50jährigen Jubiläum des „Bundes der Deutschen Katholischen Jugend“ (BDKJ) all denen, die „Heranwachsende zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist anleiteten“. Dieses Engagement wirke „bei Erwachsenen wie ein Stachel im Fleisch“, betonte Kardinal Georg Sterzinsky, oberster Berliner Katholik.

Sein Wort in Gottes Ohr: Denn die bisweilen aufmüpfige Interessenvertretung der etwa 15.000 katholischen Jugendlichen in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg- Vorpommern und die „kritische Auseinandersetzung“ mit Gesellschaft und Kirche haben dem BDKJ in den vergangenen 50 Jahren oft genug Ärger mit dem Bischof und seiner Verwaltung eingetragen. Den „Stachel im Fleisch“ hat sich Sterzinsky selbst vor einigen Jahren herausoperiert, als er die Jugendlichen organisatorisch kaltstellte. Der einstmals lautstark progressive BDKJ ist in den vergangenen Jahren auch nach eigener Einschätzung „zu sehr mit sich selbst beschäftigt“ gewesen.

Bei der Gründung des Verbands, der die katholischen Jugendverbände wie Pfadfinder und Kolpingjugend ebenso vertritt wie die unorganisierte Jugend in den Gemeinden, standen 1947 zwei Ansprüche im Vordergrund: Die staatsbürgerliche Bildung der Jugend im Sinne der katholischen Doktrin und ehrenamtliche Hilfen in Gefängnissen, Flüchtings- und Altenheimen. Politisch setzte sich der BDKJ unter anderem mit der FDJ auseinander und organisierte Treffen mit Jugendlichen z.B. aus Polen. Die Leitungsgruppe des Verbandes verwirklichte allerdings „den politischen Anspruch selbstverständlicherweise in der Jungen Union der CDU“, wie der ehemalige BDKJ-Chef Michael Wedell schreibt.

Diese Verbundenheit mit der CDU änderte sich inden siebziger Jahren. Das zweite Vatikanische Konzil Ende der sechziger Jahre mit seiner Öffnung der Kirche zur Gesellschaft sowie die Auseinandersetzungen um Gesellschaft und Politik nach 1968, veränderte auch die katholische Jugend. Der BDKJ emanzipierte sich von Vater Staat und von Mutter Kirche. Fortan verstand sich der BDKJ weniger als verlängerter Arm der Bischöfe, sondern mehr als Interessenvertretung der Jugendlichen, die ihre Aktionen aus dem christlichen Glauben begründeten und eine Verbindung von Spiritualität und Politik suchten. Doch die Kirche störte sich an gesellschaftspolitischen Aussagen, die mit der Bibel begründet wurden. Ob Dritte- Welt-Arbeit, Frauenrechte in der Kirche, Abrüstung oder die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums: Immer war der BDKJ der Obrigkeit zuwenig fromm und zu deutlich links, zu demokratisch und zuwenig der Verwaltung hörig. Auf Aktionen der Jugendlichen folgten regelmäßig Mahnungen von der Kanzel; auf Beiträge in der BDKJ-Zeitschrift Blickpunkt über homosexuelle Lebensgemeinschaften folgte die Zensur; auf den Aufruf zur Mai-Demo der GEW folgte 1977 der Rauswurf des BDKJ-Vorsitzenden Ralph- Dieter Feigel aus seinem Beruf als Lehrer an einer kirchlichen Schule; aus den Konflikten folgten Rücktritte von ganzen BDKJ-Vorständen. Die unterschiedlichen Berliner Oberhirten scheuten selbst vor dem Vorwurf der Ketzerei nicht zurück.

Den Kampf um die Jugend entschied Bischof Sterzinsky mit der deutschen Einheit erst einmal für sich, als der linksemanzipatorische BDKJ im Westen auf die konservative Jugend aus den ostdeutschen Pfarreien traf, die aus 40jähriger FDJ-Tradition eine Abneigung gegen Jugendverbände hatte. Sterzinsky nutzte die Gunst der Stunde und „ostete“ den BDKJ: Der Verband wurde von der Verwaltung getrennt und mußte nach Tempelhof ziehen, Sterzinsky machte wiederholt deutlich, daß ihm die Frommen aus Gemeinden und „Opus Dei“ lieber waren als der BDKJ. Die allgemeine Abkehr der Jugendlichen von den Kirchen und den Jugendbewegungen tat ein übriges: Zwischen Wende und 1995 war im BDKJ Berlin „eine kontinuierliche Arbeit in Bereichen wie Ökologie, Fremdenfeindlichkeit oder Eine-Welt-Arbeit kaum festzustellen“, wie Wedell meint. Machten noch beim Katholikentag 1980 die jungen KatholikInnen gegen Männerherrschaft und Aufrüstung mobil, gab es beim Papstbesuch 1996 weder Proteste noch Erklärungen seitens des BDKJ.

„Nur Schreien bringt nichts“, meint dazu Sibylle Rooß. Zu oft habe der BDKJ „geschrieen und eins auf den Deckel bekommen“. In der Tat zeigen sich die Spuren von mühseliger Arbeit der Jugendlichen langsam in der Politik von Kirche und Bischöfen. So kümmert sich die katholische Kirche heute verstärkt um Fragen wie soziale Gerechtigkeit und Flüchtlingspolitik und bindet sich nicht mehr auf Gedeih und Verderb an die CDU. Doch der Preis für die Arbeit in der Kirchenbürokratie war die ständige Enttäuschungen bei den Jugendlichen. Anders als in Jugendorganisationen von Parteien oder Gewerkschaften gibt es in der Kirche keine Aufstiegsmöglichkeiten für profilierten Nachwuchs. Durch den schnellen Generationswechsel tauscht sich innerhalb von zehn Jahren das gesamte Personal von Führung und unteren Ebenen aus. Besonders Frauen im Verband fühlen sich von der Männerdomäne Kirche an den Rand gedrückt. „Die Wahrscheinlichkeit, an der Kirche zu verzweifeln, ist in einem solchen Amt, in dem man hinter die Kulissen blickt, viel höher“, bilanziert Rooß.

Für sie ist nach der langen Nabelschau des BDKJ wieder politisches Engagement gefragt. „Im nächsten Jahr zu den Bundestagswahlen sollte sich der BDJK zu Wort melden und die Themen soziale Gerechtigkeit und Jugendarbeitslosigkeit ansprechen“, hofft Rooß. Die Jugendlichen im BDKJ mit ihren überdurchschnittlichen Bildungschancen und ihrer Herkunft aus gesicherten Verhältnissen hätten eine besondere Verpflichtung, den Finger auf die Wunden der sozialen Gerechtigkeit zu legen. Bernhard Pötter

Literaturhinweis: Michael Wedell (Hg.), „Gemeinsam sind wir Kirche. 50 Jahre BDKJ im Erzbistum Berlin“. 200 Seiten, Morus-Verlag Berlin

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