Das Portrait: Radikalkatholikin als Senatschefin
■ Alicja Grzeskowiak
Wer je ihre Stimme gehört hat, wird sie nie vergessen: Von mahnenden Klagetönen geht sie über in schrille Entsetzensschreie und endet im beruhigenden „Ich bin ja da, ich werd's schon richten“. Alicja Grzeskowiak, die neue Senatspräsidentin in Polen, weiß, wo es langgeht. Gott weist ihr den Weg. Die 56jährige Professorin für Strafrecht hat in ihrem Leben schon viel durchgemacht.
Der Traum von der großen Familie endete für die 19jährige Kunstturnerin mit einem Alptraum: Die erste Tochter starb noch im Mutterleib, die zweite kam nur deshalb zur Welt, weil die Studentin neun Monate strenge Bettruhe einhielt, die dritte Tochter starb bei der Geburt durch einen ärztlichen Kunstfehler.
Doch die aktive Politikerin ist überzeugt, daß Gott ihr dieses Schicksal zugedacht hat, daß er sie erwählt hat, um für das ungeborene Leben zu kämpfen. Alicja Grzeskowiak ist nicht nur Beraterin für Familienpolitik im Vatikan, sie kämpft auch seit 1989 im Senat, der zweiten Parlamentskammer, gegen die Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Als im August 1996 der Sejm, das polnische Abgeordnetenhaus, eine Indikationsregelung verabschiedete, rief die Lebensschützerin im nationalkatholischen „Radio Maryja“ dazu auf, „die Mörder im Parlament“ zu brandmarken und das Gesetz zu verhindern.
Tatsächlich mußten die Abgeordneten fortan um ihre Haare fürchten. Religiöse Fanatiker zogen mit Farbtöpfen los und malten auf die Autos der Abgeordneten ein großes weißes Kreuz oder den Satz: „Ich bin ein Mörder.“ Dennoch kam das Gesetz durch. Die Klage vor dem Verfassungsgericht hatte Erfolg: Wenn das liberalisierte Abtreibungsgesetz nicht überarbeitet wird, tritt Ende des Jahres wieder die restriktive Variante in Kraft.
Das nächste Gesetz hat die Juristin schon fest im Blick: Sexualerziehung in der Schule. Das muß verhindert werden. Jugendliche dürfen nicht erfahren, daß Sex Spaß machen kann und Präservative nicht nur vor ungewolltem Nachwuchs, sondern auch vor Aids schützen. Gott sagt: „Seid fruchtbar und mehret Euch.“ Außerdem, so Frau Grzeskowiak, sei sexuelle Freiheit unvereinbar mit der Würde der Frau. Papst Johannes Paul II. ist begeistert. 1991 zeichnete er die Radikalkatholikin mit dem Orden „Pro Ecclesia et Pontifice“ aus. Grzeskowiak hat sich nun die Bekehrung Westeuropas vorgenommen. Gabriele Lesser
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen