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Keiner wagt sich an den Gruppenantrag

Nur ein fraktionsübergreifender Gruppenantrag böte die Chance, die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts umzusetzen. Doch die Befürworter bei der Koalition und der Opposition halten sich ängstlich bedeckt  ■ Aus Bonn Markus Franz

Rudolf Scharping will ihn. Otto Schily will ihn. Guido Westerwelle will ihn. Cem Özdemir will ihn. Überhaupt wollen alle Sozialdemokraten, Liberalen, Bündnisgrünen und sogar einige CDU-Abgeordnete die vermeintlich letzte Rettung, um doch noch eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts hinzubekommen: den Gruppenantrag. Fragt sich nur, wer bereit ist, ihn zu initiieren? – Nachdem die koalitionsinterne Einigung gescheitert ist, setzen die Reformwilligen auf eine parteiübergreifende Initiative zur Durchsetzung der Reform, für die es unbestreitbar eine deutliche Mehrheit im Parlament gibt. 34 Abgeordnete (fünf vom Hundert des Parlaments) gleich welcher Couleur müßten einen entsprechenden Antrag im Bundestag einbringen. Der maßgebliche Inhalt wäre: In Deutschland geborene Kinder von Ausländern sollen automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, womit die Duldung der doppelten Staatsbürgerschaft verbunden wäre.

Doch während sich immer mehr SPD-Politiker für einen Gruppenantrag aussprechen und Presseagenturen schon titeln „Gruppenantrag immer wahrscheinlicher“, hat sich noch niemand gemeldet, der konkret einen Gruppenantrag ins Leben rufen will. Die Fraktionssprecherin der Grünen, Kerstin Müller, hält es für „unwahrscheinlich“, daß die FDP oder Abgeordnete der CDU den Mut dazu haben. Die ausländerpolitische Sprecherin der SPD, Cornelie Sonntag-Wolgast, rechnet damit, daß die Entscheidung über eine vernünftige Reform in dieser Legislaturperiode „gelaufen“ ist.

Zwar wären SPD und Bündnisgrüne grundsätzlich zu einem Gruppenantrag bereit. Ein Gruppenantrag, der allein auf ihre Initiative zurückgeht, würde aber voraussichtlich nichts nützen. Im Parlament, wo das ungeschriebene Gesetz des Fraktionszwangs gilt, würde die Mehrheit der Koalitionsabgeordneten wohl kaum mit dem politischen Gegner gemeinsame Sache machen. Schon einmal, so Cornelie Sonntag-Wolgast, habe die FDP gezeigt, daß sie die Koalitionsräson über ihre Überzeugung stelle. Die SPD habe bei den Liberalen vorgefühlt, ob sie im Parlament einen Gesetzentwurf unterstützen würde, der den Vorstellungen der Liberalen entspreche. Die FDP habe abgelehnt. Seitdem sich Bundeskanzler Helmut Kohl am Wochenende erstmals ausdrücklich gegen die doppelte Staatsangehörigkeit ausgesprochen hat, stehen die Chancen für einen Gruppenantrag schlechter als zuvor. Abgeordnete von CDU und FDP, die nun einen Gruppenantrag anregten, würden gegen den erklärten Willen des Bundeskanzlers vorgehen. Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP) hat bereits erklärt, daß sie zwar für einen Gruppenantrag sei, aber nicht gegen den Willen der CDU. Auch die sogenannten jungen Wilden der Union, die seit über einem Jahr für die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts kämpfen, halten sich auffallend mit der Drohung eines Gruppenantrags zurück. Sie setzen offenbar darauf, daß Fraktionschef Wolfgang Schäuble eine Abstimmung im Parlament freigegibt, um den Streit nicht weiter eskalieren zu lassen. Wenn dann ein Gruppenantrag zustande käme, könnten sie ohne persönliches Risiko für die doppelte Staatsangehörigkeit stimmen. Schon zweimal in jüngster Zeit war der Fraktionszwang aufgehoben worden: bei den Themen Abtreibung und Vergewaltigung in der Ehe. Die Begründung lautete, es handele sich um persönliche Gewissensentscheidungen. Ob dies auch die Befürworter der doppelten Staatsangehörigkeit für sich geltend machen können, wird bezweifelt. Am Donnerstag wird im Parlament über einen Antrag des Bundesrats zur Staatsbürgerschaft debattiert. Eine Abstimmung ist nicht vorgesehen. Der Antrag ist ohnehin so gut wie überholt. Danach sollen Kinder der sogenannten dritten Ausländergeneration automatisch eingebürgert werden, also nur diejenigen, deren Eltern bereits in Deutschland geboren sind. Dies entspricht der offiziellen SPD-Linie. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Peter Struck, kündigte aber an, daß die SPD auch einer automatischen Einbürgerung der zweiten Ausländergeneration zustimmen werde.

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