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Spaltung in braun und weiß?

■ Heute abend Jahreshauptversammlung des FC St. Pauli: Umbenennung des Wilhelm-Koch-Stadions und drohende Abmahnung für Präses Heinz Weisener

Klarheit gibt es nicht. Nur soviel ist vor der Jahreshauptversammlung des FC St. Pauli heute um 19 Uhr im Congress-Centrum sicher: Der Antrag, die nach dem Ex-Präsidenten Wilhelm Koch benannte Spielstätte in „Stadion am Millerntor“umzubenennen, wird gestellt (taz berichtete). Und: Eine offizielle Präsidiumsmeinung zu diesem mit Kochs NS-Vergangenheit begründeten Begehren existiert nicht.

„Es ist Sache der Mitglieder, über dieses Thema zu entscheiden“, machte gestern noch einmal Vizepräsident Christian Hinzpeter deutlich. Er selbst gibt sich keine Mühe, zu verbergen, daß ihn die vorwiegend vereinsintern geführte Diskussion nervt und ihm „die Zeit raubt“. Die Debatte habe ihre Berechtigung und sei auch wichtig, sagt Hinzpeter: „Aber es gibt Sachen, die mindestens genauso wichtig sind.“

Das seien vor allem „Probleme, die der Fußball mit sich bringt“. Zum Beispiel Bezahl-Fernsehen und ganz allgemein die weiter zunehmende Vermarktung des Profikicks. „Das Präsidium hat sich in erster Linie um die Zukunft des Vereins zu kümmern und nicht um dessen Vergangenheit“, gibt sich Hinzpeter wahlkämpferisch. Schließlich wird heute abend im Saal 1 des CCH über das amtierende Präsidium mit Chef Heinz Weisener und seinen beiden Stellvertretern Horst Niewicki und Hinzpeter abgestimmt – erstmals nach der neuen Satzung. Der Aufsichtsrat schlägt den Mitgliedern die Bewerber vor.

Keine Frage ist, daß Weisener & Co., die keine Gegenkandidaten haben, in ihren Ämtern bestätigt werden. Unsicher ist allein der Grad der Zustimmung. Bei der vorigen Wahl gab es für Weisener nur eine Gegenstimme. Diesmal werden es mehr werden. Es wird – auch dies ist eine Premiere – in geheimer Wahl entschieden. Dies könnte einigen zögerlichen Mitgliedern den entscheidenden Stoß geben, sich gegen Weisener auszusprechen. Noch ist vielen in frischer Erinnerung, wie sich der oberste Braunweiße bei der Aufsichtsratswahl wenig gentlemanlike verhielt und nur mit massiven Rücktrittsdrohungen seine Wunsch-Kontrolleure durchboxte.

Und dann ist da auch noch der Streit um die Umbenennung des Wilhelm-Koch-Stadions, von dem keiner weiß, ob er die Präsidiumswahl – zumindest indirekt – beeinflussen wird. Der Antrag des FC-Mitglieds Ronny Galczynski wird erst nach der Weisener-und-Gefolge-Inthronisierung zur Diskussion kommen.

Öl ins Feuer gießen will der 39jährige jedoch nicht. „Ich werde die Begründung moderat formulieren, ohne inhaltlich etwas zurückzunehmen.“Keiner solle seinen Antrag als Affront oder Vorwurf auffassen, wünscht sich der engagierte Fan. Die Gefahr jedoch, daß der Konflikt den FC St. Pauli noch weiter spaltet, als er es bereits getan hat, ist groß. Zu emotional ist dieses Thema – für beide Seiten.

Der „Alte Stamm“, wie die FC-Senioren sich nennen, dürfte die Kritik an Wilhelm Koch als Majestätsbeleidigung auffassen, als Angriff auf die Tradition des Vereins. Und für die – nach eigenem Selbstverständnis – kritischen Fans hängt ebenfalls einiges an dieser Debatte. Sie wollen zeigen, daß die Anhänger des FC St. Pauli noch immer politisch sensibler sind als die Zuschauer anderswo.

Seit geraumer Zeit wird in Fan-Kreisen intensiv über die Entwicklung am Millerntor debattiert, deutlich sichtbar an den divergierenden Ansichten in Fanzines wie Der Übersteiger oder Unhaltbar!. Über konsumgeile „Modefans“wurde gestritten und über solche Besucher, die „ihren Arsch nicht mehr hochkriegen“, über die immer schlechter werdende Stimmung im Stadion und über die eigene Verunsicherung angesichts von Pöbeleien vieler St.-Pauli-Zuschauer gegen FC-Spieler.

Insofern ist die dem Verein aufgedrückte Vergangenheitshinterfragung auch ein Versuch der Rückmeldung und der Selbstversicherung: „Wir sind noch da.“Vielleicht ist es aber auch der letzte Anlauf: Sollte der Antrag scheitern oder die notwendige Diskussion langfristig im Sande verlaufen, würden viele Fans dem FC endgültig den Rücken kehren. Clemens Gerlach

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