: Streiter für ein Recht auf Schienen-Demonstrationen
■ Castor-Gegner klagen gegen ihre Bußgeldbescheide. Verfassungsgericht wird entscheiden
Freiburg (taz) – Atomkraftgegner wollen künftig straflos auf Schienen demonstrieren. Im Zusammenhang mit Atommülltransporten kommt es immer wieder zu Bußgeldverfahren. Denn das Betreten der Schienen gilt als Verstoß gegen die Eisenbahnbau- und -betriebsordnung. Anfang nächsten Jahres wird sich das Bundesverfassungsgericht mit dieser Frage beschäftigen.
Die jüngste Prozeßwelle richtet sich gegen AKW-Gegner, die im November letzten Jahres einen Castor-Transport aus dem badischen Philippsburg zeitweise blockierten. In einer symbolischen Aktion setzten sich rund 30 Öko-Aktivisten vor einen im Rangierbereich des Bahnhofs Bruchsal abgestellen Waggon. Sie protestierten damit gegen den Transport abgebrannter Brennelemente zur Wiederaufbereitungsanlage La Hague.
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe leitete zwar Ermittlungsverfahren wegen „gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr“ ein. Doch wurden die Verfahren bald eingestellt. Sich vor einen stehenden Waggon zu setzen, ist nicht sonderlich „gefährlich“. Doch ungeschoren kamen die AKW-Gegner nicht davon. Per Bußgeldbescheid wurde ihnen ein Verstoß gegen die Eisenbahnbau- und -betriebsordnung vorgeworfen.
Die ersten drei von über zwanzig Verfahren wurden jetzt vor dem Amtsgericht Böblingen abgewickelt. Die Bußgelder in Höhe von je 150 Mark wurden dabei zwar auf 50 bis 100 Mark reduziert, zum erhofften Freispruch kam es jedoch nicht. Bei allen bisher Verurteilten blieb der Vorwurf bestehen, sie hätten „unbefugt“ die Bahngleise betreten.
Die AKW-Gegner berufen sich dagegen auf ihr von der Verfassung garantiertes Demonstrationsrecht. „Weil der Castor auf den Schienen transportiert wird, will ich auch am Ort des Geschehens demonstrieren können“, erklärte etwa AKW-Gegner Heinz Wittmer aus Heidelberg vor Gericht. Er setzt seine Hoffnungen jetzt auf das Bundesverfassungsgericht. Dort sind schon drei Klagen von norddeutschen Atomkraftgegnern gegen entsprechende Entscheidungen des Oberlandesgerichts in Celle anhängig.
Erste Auswirkungen zeigten die Verfassungsbeschwerden in Schleswig-Holstein. Im Mai dieses Jahres hatte das Amtsgericht in Bad Bramstedt das Bußgeldverfahren gegen einen Castor-Demonstranten eingestellt und auf dessen Grundrechte verwiesen (taz vom 16. 5. 1997). Die zuständige Staatsanwaltschaft in Kiel stellte deshalb rund 50 ähnlich gelagerte Fälle zurück, bis das Verfassungsgericht seine Grundsatzentscheidung getroffen hat. Christian Rath
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen