: Papst Johannes Paul II. möchte zur Jahrtausendwende ein umfassendes „mea culpa“ gegenüber dem Judentum aussprechen. Auf einem dreitägigen Kolloquium im Vatikan bereiten ihm seit gestern rund 50 Theologen das Feld für seine Demutsgeste. Aus Rom Werner Raith
Ein Hindernislauf zur Versöhnung
Daß sich „in Sachen Antijudaismus etwas bewegt“, räumt der Vorsitzende des Vatikanischen Justiz- und Friedensrates, Kardinal Roger Etchegaray, schon seit einiger Zeit ein. Das Problem ist nur, daß man „noch nicht genau weiß, was und wieviel sich bewegen wird“. Zum Auftakt des gestern begonnenen dreitägigen Kolloquiums „Wurzeln des Antijudaismus im christlichen Umfeld“ in Rom erklärte der päpstliche Justizminister, daß man die Ergebnisse der Tagung „selbstverständlich dem Papst unterbreiten wird, der dann entscheidet, was damit geschieht“.
Vatikanologen können derlei Worte deuten – sie weisen auf noch immer erhebliche Differenzen in der Auslegung des Verhältnisses der katholischen Kirche zum Judentum hin. Schon daß die Bezeichnung „Antisemitismus“ an keiner Stelle auftaucht, sondern der Euphemismus „Antijudaismus“ – der die Dimension der begangenen Verbrechen herunterspielt –, belegt die nicht gelinden Probleme, mit denen sich die katholische Kirche noch immer herumplagt, wenn es um solch schreckliche Dinge wie ihr Schweigen zum Holocaust, aber auch zu den zahlreichen Pogromen früherer Jahrhunderte geht.
Dabei hat der derzeitige Papst wohl insgesamt wesentlich weniger Berührungsängste zum Thema als seine Kurialen. Schon in seiner Heimat Polen hat Karol Wojtyla für verfolgte Juden gekämpft und gehörte schon während des 2. Vatikanischen Konzils zu den ersten, die die Frage der Schuld bei den Judenverfolgungen als „zur Bereinigung anstehend“ angesehen hatte. Mit seinem Besuch in der römischen Synagoge 1988 schließlich beendete der Papst endgültig die Eiszeit zwischen dem jüdischen und dem katholischen Glauben.
Daß die katholische Kirche bei den Judenverfolgungen oft schwere Mitschuld auf sich geladen hat, bestreitet niemand. Auch daß die Kirchenoberen sich jeglicher Parteinahme gegen die Ermordung von Millionen Juden enthalten haben, geben nahezu alle als unentschuldbar zu. Die Frage aber ist, wie man damit umgeht. Karol Wojtyla plädiert, wie auch sein oberster Glaubensberater Joseph Kardinal Ratzinger – sonst kein Anhänger von Demutsgesten seiner Kirche –, für ein bedingungsloses „mea culpa“, ein Eingeständnis der kollektiven Schuld und die Bitte um Vergebung.
Doch ganz so einfach ist das nicht im Ambiente des obersten Klerus der römischen Kirche. Schließlich suchen die Vatikan- Oberen seit Jahren auch ein besseres Verhältnis zur islamischen Welt. Und dort würde eine allzu hochgehängte Geste gegenüber der jüdischen Glaubensgemeinschaft die mühsam errungenen Fortschritte möglicherweise wieder gefährden. Auf einer anderen Schiene bewegt sich ein Teil vor allem älterer Kurialer. Sie räumen zwar alle Schuld ein, sehen es jedoch als unmöglich an, wenn just jene Kirche, die einen als unfehlbar geltenden Chef hat, sich derart zu einem Kniefall herabließe.
Die Konferenz, zu der etwa 50 Geistliche und kirchliche Wissenschaftler eingeladen sind, sucht dem eher schwammigen Meinungsbild Rechnung zu tragen. So gibt es nach dem einleitenden Vortrag von Marcel Dubois von der Universität Jerusalem zum Stand der Problematik einen Reigen höchst unterschiedlicher Beiträge. So referiert der Vorsitzende der päpstlichen Kommission für das Verhältnis zum Judentum, Pater Remi Höckmann, über „die Vorstellungen des Guten und des Bösen nach Auschwitz“; Paul Beauchamp von der Universität Paris referiert über „Die typologische Dimension des Johannes-Evangeliums“; Jean Stern von der Päpstlichen Universität in Rom läßt sich über „Juden und Judaismus in der Lehre von Papst Johannes Paul II.“ aus; sein Kollege Rino Fisichella berichtet über die „Evolution des Verhaltens der Christen gegenüber dem Judentum“.
Daß der Papst von der Konferenz nicht nur allgemeines Gerede erwartet, wissen alle Teilnehmer. Spätestens im Jahr 2000, zum Großen Heiligen Jahr, will er eine Enzyklika veröffentlichen, die sich ausschließlich mit dem Judentum und den Verfehlungen des Christentums ihm gegenüber beschäftigt. Auf Zeit spielen, das haben auch die Bremser erkannt, geht nicht mehr. Lieber noch vor dem angepeilten Zeitpunkt, hat Johannes Paul II. wissen lassen, möchte er Definitives aussagen. Und er hat sogar gedroht, das Lehrschreiben eigenhändig zu verfassen, wenn seine Berater ihm nur Unzureichendes abliefern. Denn, so vertraulich ein enger Papstberater, „der traut der Sache nicht. Er ist schwer krank, möglicherweise erlebt er das Jahr 2000 gar nicht mehr. Und ob sein Nachfolger, der möglicherweise aus der Dritten Welt kommt, das Thema Judentum noch so ernst nimmt wie er, ist durchaus nicht sicher.“
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