Traum vom sozialen Möbel

Das Bauhaus schuf mit seiner kühlen Form-follows-function-Ästhetik modernes Möbeldesign für Jedermann. Serie „Wohnkultur in den Epochen“, Teil 2  ■ Von Anja Karrasch

Der Einstieg ins 20. Jahrhundert war vor allem ein Einstieg in eine von der industriellen Produktion geprägte Gesellschaft. Auf der Suche nach Arbeit strömten die Menschen in die Städte. Das Fließband in der Fabrik ersetzte zunehmend den handwerklichen Arbeitsablauf in der Werkstatt. Künstler, Architekten und Handwerker suchten nach Ausdrucksmöglichkeiten, die den neuen Lebensumständen Rechnung tragen sollten.

Die Gründung des Deutschen Werkbunds 1907 in Dresden führte die Strategen dieser Bewegung zusammen. Der Werkbund war eine Interessengemeinschaft von Designern und Herstellern, die in der technischen Reproduzierbarkeit von Möbeln keinen Widerspruch zu formschönem Design sahen. Visionäre Köpfe wie der Architekt und Erfinder des begehbaren Kleiderschrankes, Hermann Muthesius, verfolgten eine an Technik und rationelle Planung orientierte Architektur- und Wohnkultur. Der Stuhl beispielsweise sollte nicht mehr nur nützliches Zierstück sein, sondern den anatomischen Maßen des Menschen entsprechen. Muthesius sprach gar von einer „Neugestaltung unserer gesamten menschlichen Ausdrucksformen“. Vor allem für die Arbeiterschicht waren sie jedoch sehr begrenzt. Eine vierköpfige Familie mußte sich 1905 eine vierzig Quadratmeter große Wohnung teilen. Die „ideale Wohnküche“ mit hellen, einfachen Möbeln und dekorativem Wandschmuck blieb für sie nicht mehr als eine gutgemeinte Idee.

Erst die in Serie produzierten Möbel von Bauhaus-Künstlern lösten den Anspruch ein, modernes Design für breite Schichten zu schaffen. „Ein Ding ist bestimmt durch sein Wesen. Um es so zu gestalten, daß es richtig funktioniert [...], muß sein Wesen zuerst erforscht werden; denn es soll seinem Zwecke vollendet dienen, das heißt seine Funktionen praktisch erfüllen, haltbar, billig und ,schön‘ sein“, schrieb Walter Gropius in seinen „Grundsätzen der Bauhausproduktion“. Unter seiner Leitung entstand 1919 das „Staatliche Bauhaus Weimar“, das nicht als Lobby agierte, sondern großen Wert auf die ideelle und handwerkliche Ausbildung seiner Schüler legte. Einer von ihnen war Marcel Breuer, der mit der Entwicklung einer flexibel einsetzbaren Anbauküche für die damalige Zeit revolutionäre Maßstäbe im Möbelentwurf setzte. Von ihm stammt auch der freischwingende Stuhl aus vernickeltem Stahlrohr mit Gleitkufen und Lederbespannung, der heute in jedem Möbelhaus zum Standardangebot gehört. „Bei meinem Bemühen um Serienanfertigung und Standardisierung stieß ich sehr bald auf poliertes Metall, auf strahlende, reine Linien im Raum als neue Bestandteile unserer Wohnungseinrichtung“, schrieb Breuer 1962 in seinen Erinnerungen.

Zunächst war diese neue Art des Wohnens Sache der intellektuellen Avantgarde. So ließ der Theaterpionier Erwin Piscator, damals leitender Regisseur an der Berliner Volksbühne, seine Wohnung mit Breuers minimalistischen Möbeln einrichten. Aber die funktionierende Zusammenarbeit mit der Industrie und internationale Ausstellungen machten die kühle Bauhaus-Ästhetik in der ganzen Welt bekannt – und für den Normalbürger erschwinglich. Auch die Entwicklung und Serienproduktion von Sperrholzmöbeln rationalisierten das Wohnklima. Da Tische, Stühle und Regale in ihre Einzelteile zerlegbar waren, entsprachen sie den sozialen Anforderungen der Zwischenkriegszeit. Besonders gefragt waren die Aufbaumöbel, die variabel aufstellbar waren und so ermöglichten, den knappen Wohnraum möglichst effektiv zu nutzen.

Die erzwungene Auflösung des Bauhauses 1933 durch die NSDAP beendete dessen Arbeit in Deutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Idee vom sozialen Möbel keine Chance mehr, da die konsumfreudige Gesellschaft anderes verlangte. Beliebt sind An- und Aufbaumöbel immer noch, Einbauküchen sind längst bürgerliches Allgemeingut. Und ein bekanntes schwedisches Möbelkaufhaus profitiert von dem alten Motto „billig, praktisch, nett“.

Am 6. Dezember: Die sechziger Jahre im Zeichen der Pop-Kultur. Wohnen zwischen „Fun furniture“ und aufblasbaren Space-Möbeln