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„Das Prozentgefeilsche bringt uns nicht weiter“

■ Sachsen-Anhalts Finanzminister Wolfgang Schaefer (SPD) plädiert für Lohnverzicht

taz: Herr Schaefer, Sie haben an die Tarifparteien appelliert, angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen auf „Prozentrituale“ zu verzichten. Sehen Sie dafür bei den Verhandlungen, die heute stattfinden werden, noch gute Chancen?

Wolfgang Schaefer: Ja, denn das Prozentgefeilsche bringt uns nicht weiter. Der Druck auf alle Finanzminister wächst ständig. Die Personal- und Pensionskosten steigen, während die Investitionsausgaben zurückfallen. Das kann auf Dauer nicht so weitergehen. Initiativen sind jetzt gefragt, die die Beschäftigungssicherung ohne zusätzliche Ausgaben möglich machen.

Welche?

Die Arbeit muß auf mehr Schultern verteilt werden. Das geht angesichts der öffentlichen Kassenlage aber nur bei einem gleichzeitigen Lohnverzicht. In den unteren Einkommensgruppen kann man das sehr moderat anwenden, aber für die besserverdienenden Beschäftigten geht es nicht ohne Lohneinbußen. Vom Grundsatz her halte ich das Modell des Berliner Politologen Peter Grottian für richtig, wobei man immer darauf hinweisen muß, daß die Nettoeinbußen – insbesondere für Angestellte in den höheren Tarifgruppen – weitaus geringer ausfallen als beim Bruttoeinkommen.

Bei den aktuellen Verhandlungen spielt der differenzierte Lohnverzicht nach dem Grottian-Modell doch auch auf Arbeitgeberseite keine Rolle.

Ja, das ist richtig. Mir scheint das ein Indiz dafür zu sein, daß die Dramatik auf dem Arbeitsmarkt immer noch nicht ausreichend zur Kenntnis genommen wird.

In Sachsen wurde von der Regierung für Lehrer und Lehrerinnen im Tausch gegen eine Beschäftigungsgarantie eine Art Zwangsteilzeit durchgesetzt. Ist das ein Modell nach Ihrem Geschmack?

Nein, für uns kommt dieses sehr rigide Modell nicht in Frage.

Aber Sie haben doch auch eine Teilzeitvereinbarung für alle Lehrer und Lehrerinnen getroffen?

Unsere Regelung sichert das Einkommen auf einem Niveau von mindestens 81 Prozent, und wir haben die Bedingungen in einem Tarifvertrag mit den Gewerkschaften festgelegt. Sachsen macht das dagegen auf Einzelvertragsbasis.

Die ÖTV redet von der Beschäftigungssicherung als dem wichtigsten Ziel dieser Tarifrunde, will aber keinen Lohnverzicht akzeptieren? Sehen Sie einen Ausweg?

Nein, im Moment noch nicht.

Die Gewerkschaften fordern, die Vierzigstundenwoche für öffentlich Bedienstete im Osten generell auf das Westniveau von 38,5 Wochenstunden zu senken. Stimmen Sie der Forderung zu?

Ja, bei gleichzeitigem Lohnverzicht.

Fürchten Sie nicht den Protest der Beschäftigten?

Wir haben in Sachsen-Anhalt einen entsprechenden Kurs per Tarifvertrag für Lehrer und Lehrerinnen und auch für Beschäftigte in den Horten durchgesetzt. Diese Vereinbarungen sind zwar nicht auf große Gegenliebe gestoßen, aber da ansonsten eine Kündigung von Mitarbeitern unausweichlich gewesen wäre, haben die Menschen diesen Weg – wenn auch zähneknirschend – akzeptiert. Man muß natürlich auch sehen, daß wir – gemessen an den Verhältnissen im Westen – etwa 8.000 bis 10.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst zuviel haben. Weil wir diese Menschen nicht in die Arbeitslosigkeit schicken wollen, müssen wir auf die Bereitschaft zum Teilen setzen. Das Verständnis dafür ist in den noch auf DDR- Zeiten zurückgehenden „Überhangbereichen“ nach wie vor da. Bei gleichzeitiger Garantie des Arbeitsplatzes fällt der Verzicht leichter, zumal der öffentliche Dienst im Osten weit besser zahlt als die gewerbliche Wirtschaft.

Die Gewerkschaften denken, Lohnverzicht diene nicht der Beschäftigung, sondern dem Haushalt. Wenn solche Vorschläge von einem Finanzminister kommen, liegt die Reaktion doch nahe.

In den Verdacht kommt man sehr schnell, aber wenn man die Karten offen auf den Tisch legt und vertrauensvoll miteinander redet, kann man diese Bedenken ausräumen. Uns ist das jedenfalls gelungen. Interview: Walter Jakobs

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