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"Pädagogisierung eines Bezirks"

■ Karl Homuth, Kritiker der Kreuzberger Stadterneuerung, starb im Alter von 48 Jahren

Spätestens seit 1984 hatten die linken Kritiker der behutsamen Stadterneuerung in Kreuzberg einen akademischen Fürsprecher. In seinem Buch „Statik potemkinscher Dörfer – ,Behutsame Stadterneuerung‘ und gesellschaftliche Macht in Berlin-Kreuzberg“ beschrieb der Soziologe Karl Homuth die Umarmungsstrategie gegenüber dem Kreuzberger Protestpotential.

Die „behutsame“ Stadterneuerung, so Homuth, „bindet Protestpotential in Strukturen aktiver Mitarbeit ein. Sie dehnt die Konsensfähigkeit städtebaulicher Veränderungen auf bisher unbeteiligte Bevölkerungsgruppen aus. Sie überträgt Forderungen, Interessen und Bedürfnisse einer heterogenen Vielzahl von ,Betroffenengruppen‘ in verwaltungsadäquate Problemdefinitionen und Handlungsabläufe.“ Damit, so Homuths Resümee und Kritik, „sensibilisiert und reformiert sie gleichzeitig die herrschende Administration“.

Nicht immer trug der 1949 in Hildesheim geborene Homuth seine Kritik so akademisch vor. Erst vor zwei Jahren erneuerte er auf einer Veranstaltung im Nachbarschaftsheim Urbanstraße seine Metapher von der Kreuzberger Stadterneuerung als Schwein. „Jeder nimmt sich das beste Stück“, sagte Homuth, und das Ganze gerate aus dem Blick. Es war Homuths selbstgestellte Aufgabe, diesen Blick auf das Ganze zu wahren. Seine Arbeiten am Forschungsschwerpunkt Stadterneuerung der HdK galten bis zur Wende deshalb Themen wie dem Verhältnis „Identität und soziale Ordnung“ oder der „Pädagogisierung“ eines Stadtteils.

Nach der Auflösung des Forschungsschwerpunkts arbeitete Homuth zusammen mit Harald Bodenschatz, Max Welch und Erich Konter an der AG Stadterneuerung am Institut für Stadt- und Regionalplanung an der TU, bis er schließlich als Professor zur Hochschule für Verwaltung nach Potsdam berufen wurde.

Homuths engagiert vorgetragene Kritik an der schon damals als „Erfolgsweg“ gepriesenen Stadterneuerung mutet heute, im Zeitalter fehlender Fördergelder, seltsam anachronistisch an. Daß sie ihre Sprengkraft freilich nicht verloren hat, zeigte sich in diesem Jahr, als zwanzig Jahre nach dem Beginn des Wettbewerbs „Strategien für Kreuzberg“ die Kreuzberger Sanierung bilanziert wurde. Homuths Diagnose von der „Pädagogisierung“ aufgreifend, urteilte etwa Dieter Hoffmann-Axthelm, daß die behutsame Stadternerung die Kreuzberger Bevölkerung unmündig gemacht habe. Karl Homuth hätte diesem Befund sicher zugestimmt. Anders als Hoffmann-Axthelm wäre seine Schlußfolgerung aber sicher nicht gewesen, das innovative Potential im mittelständischen Hausbesitz zu suchen. Anders als Hoffmann-Axthelm hatte Homuth seine Sympathie für die Akteure von unten nie verloren.

Homuths Gesamtbilanz freilich haben wir nicht lesen können. Karl Homuth starb, wie erst jetzt bekannt wurde, am 6. Oktober in Italien an einem Herzversagen. Uwe Rada

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