Ein Mann mit Möglichkeitssinn

■ Auf die Frage "Was ist Globalisierung?" gibt der Soziologe Ulrich Beck Antworten, die den Leser absichtsvoll in Verwirrung stürzen, ihm aber anschließend Mut machen wollen. Seine Analyse führt aus der ökonomi

Längst ist die „Globalisierung“ den Nischen akademischer Diskurse entwichen. Noch bevor so richtig klar war, was sie denn eigentlich sei, mäanderte sie durch die Redeflüsse der sozial- und wirtschaftspolitischen Fachdebatten, auf ihren Schaumkronen das Enrichissez-vous des Neoliberalismus tragend und immer neue Heere von Arbeitslosen in die Niederungen der sozialen Sicherungssysteme spülend. Kein Sonntag mehr, an dem nicht die sinistren Wirkungen einer weltweiten Entwicklung in Rede stehen, kaum ein Buch, in dem nicht vor den Tücken der „Globalisierungsfalle“ gewarnt, „Das Ende der Demokratie“ beweint, der „Weltwirtschaftskrieg“ beschworen oder zumindest der Kampf „Dschihad versus McWorld“ ausgetragen wird. Und kein Parteitag, kein Gewerkschaftstag, auf dem nicht alle Kräfte gegen dies endzeitliche Unheil mobilisiert werden.

Nur, werden diese Kräfte nicht an falschen, weil alten Fronten in Stellung gebracht, und liegt nicht im Unheil auch ein Heil? Es zu entdecken setzt allerdings weniger den vielbeschworenen Realitäts- als vielmehr „Möglichkeitssinn“ voraus. (Denn es ist die Tücke des Objekts, daß die Globalisierung gleichermaßen die Filter, durch die sie wahrgenommen wird, verändert, wie ihre Faktizität der normierenden Kraft der Begriffe unterliegt, die sich je nach Standpunkt von ihr gemacht werden.)

Ulrich Beck hat Möglichkeitssinn. Manchmal jedoch, so der Eindruck nach Lektüre seines Buches, liegt dieses Mögliche weit vor dem Machbaren. Um so schlimmer für die Realität, würde er einwenden, möge sie sich doch ändern.

„Was ist Globalisierung?“ beschreibt Veränderungen, will Änderungen, gibt Handlungsanleitungen. Es bezeichnet Potentiale, kennzeichnet Sackgassen und schafft Klarheit. Klarheit über die Irrtümer des Globalismus, den Neoliberalismus, der das Primat der Politik der Ökonomie opfert. Monokausal verkürzt er die Vieldimensionalität der Globalisierung auf eine, die wirtschaftliche Dimension. Seiner Wirkmächtigkeit erweist er auch an seinen Gegnern, die, nachdem der Untergang des Kapitalismus ihnen keine Notwendigkeit mehr ist, nun eifernd die Politik in Stellung gegen die Ökonomie bringen. Allein auf die Kraft des Vernünftigen vertrauend, bleiben sie in dem verfangen, was Beck die Container-Theorie der Gesellschaft nennt. Die Territorialfalle auch seiner, der Soziologenzunft, die Gesellschaft nicht anders denken läßt als im nationalstaatlichen Rahmen verfaßte. Also nicht als lebendigen Organismus, sondern immer auch als Ordnungsgefüge.

Beck hat diesem nach Schichten und Klassen sortierten Gebilde schon das Ende in der reflexiven Modernisierung verkündet. Nun entgrenzt er es hin zur „Weltgesellschaft, die sich im Gefolge von Globalisierung in vielen Dimensionen herausgebildet hat“. Diese „unterläuft, relativiert den Nationalstaat, weil eine multiple, nicht ortsgebundene Vielheit von sozialen Kreisen, Kommunikationsnetzwerken, Marktbeziehungen, Lebensweisen die territorialen Grenzen des Nationalsstaates quervernetzt“.

Beck verteidigt diese Weltgesellschaft gegen die Dichotomien eines Benjamin Barbers oder Samuel Huntingtons. Dem Konzept einer kulturellen Hegemonie, wie es sowohl „Dschihad versus McWorld“ als auch dem „Clash of Civilizations“ innewohnt, setzt er das Modell der „Glokalisierung“ entgegen (wie es namentlich von Roland Robertson entwickelt wurde). Globale Kultur kann, nach Becks Auffassung, nicht statisch, sondern nur als dialektischer (dabei nicht vorbestimmter) Prozeß verstanden werden. In ihm müssen die widersprüchliche Elemente in ihrer Einheit begriffen und entschlüsselt werden.

Es prallen die verschiedenen ökonomischen, kulturellen, politischen Formen aufeinander, und die Selbstverständlichkeiten auch des westlichen Modells müssen sich neu rechtfertigen. Es ist die „Vielheit ohne Einheit“, welche die „Globalität“ der Weltgesellschaft ausmacht, eine Gesellschaft, die „wahrgenommene reflexive Weltgesellschaft meint“.

„Globalisierung“ setzt Beck demgegenüber ab als „die Prozesse, in deren Folge die Nationalstaaten und ihre Souveränität durch transnationale Akteure, ihre Machtchancen, Orientierungen, Identitäten und Netzwerke unterlaufen und querverbunden werden“.

Es ist der zwangsläufigen Vagheit der Definitionen geschuldet, daß der – zugegebenermaßen leicht scholastischen – Frage nach dem Beginn des Zeitalters der Globalisierung keine eindeutige Antwort folgen kann. Doch durchdringt diese Vagheit auch eine Reihe von Folgebetrachtungen zur Veränderung zentraler Kategorien des globalen Lebens, so der des Universalismus und der Transnationalität.

Beck streitet wider den Relativismus nicht mit dem dogmatischen Schwert eines prinzipiellen Universalismus. Er will auch diesen in seinem Kontext belassen, die Idee der für alle Menschen gleichen Rechte einbinden in einen „Wettbewerb der Kulturen, Völker, Staaten und Religionen um die für die Menschen hilfreichste Konzeption von Menschenrechten.“ Ein vehementes Plädoyer für den interkulturellen Dialog. Dem wohnt allerdings das Paradox inne, daß es nur auf der Basis einer universalistischen Kultur formuliert werden kann. Diese Kultur – darauf hat u.a. Sybille Tönnies hingewiesen – muß sich aus der Stimme der Völker emanzipiert haben um nicht die eigene für die einzig wahre zu halten. Ein „kontextueller“ Universalismus? So ein Gebilde dürfte von Becks Adressaten als permissiver mißtrauisch beäugt werden. Becks Dilemma ist kaum zu entgehen, allerdings erscheint es womöglich in einem anderen Licht, wenn man sich zunächst der zersetzenden Wirkung der Globalisierung und der Globalität auf die hegemonialen Bestrebungen und Strukturen antiuniversalistischer Kräfte und Staaten widmet. Leider beschränken sich auch Becks Betrachtungen der Globalisierung vorrangig auf die westliche Hemisphäre.

Für diese konstatiert er, was für weitere Regionen der Welt ebenfalls einer eingehenderen Analyse bedürfte: den Zerfall des Nationalstaates und damit die Erosion rechter wie linker Verteidigungsstellungen gegen die Globalisierung. Beck erkennt darin untaugliche Versuche, die auch nicht tauglicher werden, wenn die liebgewonnenen Denkschablonen nur vergrößert werden. Auch ein Supranationalstaat sei in der gleichen territorialen Falle befangen. Demgegenüber zeichnet er das Modell des Transnationalstaates, mit dem „Globalität unrevidierbar zur Grundlage politischen Denken und Handelns gemacht wird“. Der Kern des Politischen verortet sich im weltgesellschaftlichen Nexus. Wird dies anerkannt, kann die nationale „Standortkonkurrenz“ zugunsten einer die je regionalen Besondernheiten und Stärken hervorhebenden, „einschließenden Entgegensetzung“ überwunden werden.

Beck zeichnet die Folie eines noch zu entwickelnden Europas, welches etwas anderes ist, als ein multilaterales Gefüge. Als Zusammenschluß postnationaler Einzelstaaten eröffnet es neue Handlungsspielräume. Der Exklusivität nationaler Souveränität stößt an die für sie konstitutiven Grenzen, erst eine „organische Souveränität der Kooperation“ eröffnet neue Potentiale, sei es in der Entwicklung von Produktion und Arbeit, sei es beim Staatseinkommen.

Damit wäre das Vernünftige und auch das Mögliche skizziert. Doch erwächst daraus bereits hinreichend Legalität und auch Legitimität transnationalen Agierens? Die Transformationen der Demokratie nach Verlassen ihres nationalen Gehäuses wäre Gegenstand einer notwendigen Folgebetrachtung, um dem Modell des Transnationalstaates Grund zu geben.

Damit ließe sich auch der bislang „imaginäre Raum“ namens Europa füllen, von dem sich Beck zwar sicher ist, daß es ohne ihn keine Antwort auf die Globalisierung geben wird, dessen Irrealität jedoch offenbar noch nicht einmal wirklich als Mangel erfahren wird.

Die Frage, wie weit es Europa geben wird, dürfte sich – frei nach Beck und gemäß dem Theorem, wonach das, was die Menschen für wirklich halten, auch wirklich wird – empirisch in die Frage wenden, wie und inwieweit die Menschen und Kulturen Europas sich in ihren Differenzen aufeinander bezogen wahrnehmen und diese Selbstwahrnehmung verhaltensrelevant wird. Zur positiven Antwort dürfte das Buch einen guten Beitrag leisten. Dieter Rulff

Ulrich Beck: „Was ist Globalisierung“. Edition Zweite Moderne, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/ Main 1997, 26 DM