Das Portrait: Vom Parteisoldaten zum Sozialpartner
■ Jean-Claude Gayssot
„Ich hoffe noch“, sagte Jean- Claude Gayssot am Sonntag abend um 18 Uhr, als rund um Lyon die ersten Lkws an die Barrikaden rollten und längst mehrere Tonnen Kohle bereitstanden, um die Streikenden zu wärmen. Der Kommunist an der Spitze des großen Pariser Ministeriums für Transport, Ausrüstung und Wohnungsbau hatte bis zum letzten Moment fieberhaft gearbeitet, um den Konflikt zu vermeiden. Er hatte tage- und nächtelange Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern organisiert, hatte im vorletzten Moment eine Sonderprämie für jeden Lkw in Aussicht gestellt und im allerletzten Moment eine Anhebung eines eventuellen Übereinkommens auf Gesetzesebene anerkannt.
Dabei stand der 53jährige in ständigem Kontakt mit Moskau, wo in den vergangenen Tagen Premierminister Lionel Jospin auf Staatsbesuch weilte. Wie üblich klappte die Zusammenarbeit prima. Schon wenige Tage nachdem Gayssot angekündigt hatte, er wolle kein Privatisierungsminister werden, hatte Jospin ihm den Rücken gestärkt, indem er den Air- France-Chef zurücktreten ließ, der zwar ursprünglich aus seiner eigenen Partei stammte, aber für eine sofortige und radikale Privatisierung war. Als Gayssot später eine Erweiterung des Flughafens „Charles de Gaulle“ bewilligte, unterstütze Jospin ihn wieder.
Das Bemühen um sozialpartnerschaftliche Konfliktlösung ist neu in der Karriere des Südfranzosen. Zuvor war der Eisenbahner ein echter Klassenkämpfer und Parteisoldat. Schon 1963 trat er der KPF bei, 1976 wurde er Funktionär der Gewerkschaft CGT, die sich noch als „Transmissionsriemen“ verstand. 1979, lange bevor die KPF von „Öffnung nach allen Seiten der Linken“ sprach, wurde Gayssot Mitglied der nationalen Führung.
Als Minister hat Gayssot Sensibles zu verwalten – nicht zuletzt die gewerkschaftlich gut organisierten Eisenbahner, die gegen jede Zerschlagung des Staatsunternehmens SNCF sind.
„Mit einem Kommunisten im Ministerium riskieren wir weniger Streiks“, begründeten sozialistische Regierungsmitglieder im Vier-Augen-Gespräch die Zusammenarbeit. Seit gestern hat Gayssot Gelegenheit zu zeigen, wie groß sein Einfluß auf die Gewerkschaftsbasis noch ist. Dorothea Hahn
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