: Der Irak verweigert Waffeninspektoren der USA den Zugang zu einer mutmaßlichen Giftgasanlage - die USA schließen einen Militärschlag nicht aus. Vieles erinnert an die Tage vor dem Beginn des Golfkriegs 1991. Doch inzwischen haben sich die p
Der Irak verweigert Waffeninspektoren der USA den Zugang zu einer mutmaßlichen Giftgasanlage – die USA schließen einen Militärschlag nicht aus. Vieles erinnert an die Tage vor dem Beginn des Golfkriegs 1991. Doch inzwischen haben sich die politischen Konstellationen verändert.
Kein Interesse an einem zweiten Krieg
Auf den ersten Blick scheint sich die Geschichte der Jahreswende 1990/91 zu wiederholen: Iraks Staatschef Saddam Hussein spielt Katz und Maus mit der UNO. Der verbale Schlagabtausch zwischen Bagdad und Washington eskaliert. Und es droht eine militärische Auseinandersetzung.
Tatsächlich hat sich die Konstellation, die am 16. Januar 1991 zum Krieg einer von den USA bestimmten Allianz gegen den Irak führte, gänzlich verändert. Innerhalb der UNO wie innerhalb der USA. Vor sieben Jahren konnte Washington den UNO-Sicherheitsrat noch dazu nötigen, grünes Licht für einen Angriff gegen Bagdad zu geben: durch Manipulation zahlreicher Fakten sowie massive Pressionen gegen Jemen und andere Ratsmitglieder, die gegen eine Militäraktion waren. Dies ist heute nicht mehr möglich.
Ein deutliches Indiz hierfür war bereits die Abstimmung des Sicherheitsrates über eine Verschärfung der Sanktionen gegen Bagdad Ende Oktober. Washington hatte die Verhängung eines internationalen Reiseverbots für irakische Offizielle gefordert, die die Arbeit der UNO-Waffeninspektoren behindern. Neben den ständigen Ratsmitgliedern China, Rußland und Frankreich enthielten sich jedoch drei weitere der 15 Ratsstaaten beziehungsweise stimmten dagegen. Die Arabische Liga, deren Mitglieder Syrien und Ägypten 1991 noch Teil der Allianz gegen Irak waren, warnte am Sonntag einstimmig vor jeglicher Gewaltanwendung. Darüber hinaus wächst die Zahl der UNO-Staaten, die auf eine Lockerung der bestehenden Wirtschaftssanktionen drängen. Insbesondere für Frankreich und Rußland spielen dabei ökonomische Interessen wie die Wiederaufnahme der Ölgeschäfte und die Rückzahlung irakischer Milliardenschulden eine Rolle. Die öffentliche Begründung für die Forderung nach Sanktionslockerung ist allerdings die katastrophale Versorgungslage im Irak.
Bislang haben die Bedenken zahlreicher Staaten und humanitärer Organisationen gegen die Sanktionen allerdings nicht zu einer geschlossenen politischen Koalition geführt, die innerhalb der UNO eine Veränderung der Politik gegenüber Badgad bewirken könnte. Der Grund ist klar. Auch sechseinhalb Jahre nach dem Ende des Golfkriegs haben die Sanktionen nicht zu dem angestrebten Ergebnis geführt: die Vernichtung von sämtlichen atomaren, chemischen und biologischen Massenvernichtungsmitteln des Irak sowie der für ihren Einsatz notwendigen Trägersysteme und Produktionsanlagen.
Der Vorwurf des Irak, diese Auflagen seien erfüllt und dennoch werde die UNO von den USA zur Fortsetzung der Sanktionen manipuliert, wird auch von sanktionskritischen Staaten als Propagandabehauptung zurückgewiesen. Es sei unvorstellbar, daß sich die 100 Waffeninspektoren der Unscom, die aus 23 Staaten kommen, von ihren zehn US-Mitgliedern zur Abgabe falscher Erklärungen bewegen lassen. Als Unscom 1991 etabliert wurde, räumte Irak lediglich den Besitz von 11.000 chemischen Waffen ein und bestritt zugleich die Existenz jeglicher atomarer oder biologischer Waffen. Trotz zahlreicher Behinderungen entdeckten die UNO-Inspektoren in den letzten sechs Jahren jedoch 150.000 chemische Waffen, vier A-Waffen- und drei B-Waffenproduktionsanlagen sowie über 100 Raketenträgersysteme mit 21 Abschußrampen. Nach Angaben von Unscom- Leiter Richard Butler stand die Kommission vor Beginn der jüngsten Krise „kurz davor, dem Sicherheitsrat die völlige Einstellung aller irakischen Atomwaffenprogramme zu melden“. Doch der Australier Butler ist „absolut sicher“, daß Irak nach wie vor sowohl über Vorräte an C-Waffen wie über die Fähigkeit zur Herstellung von C- und B-Waffen verfügt.
Nach Butlers Vermutung erfolgte die Ausweisung der zehn US-Inspektoren und damit die De- facto-Unterbrechung der gesamten Unscom-Arbeit, weil die Kommission kurz vor der Entdeckung von Depots mit dem hochgiftigen Nervengas VX stand. VX ist zehnmal tödlicher als Sarin und kann wegen seiner flüssigen Form sowohl durch die Haut wie die Atemwege aufgenommen werden. Nach Erkenntnis der Unscom hat Irak 750 Tonnen chemischer Substanzen importiert, die zur Herstellung des VX-Nervengases benötigt werden. Die Kommission bezweifelt Bagdads Behauptung, wonach diese Substanzen zum größten Teil während des Golfkrieges durch die Bomben der US-geführten Allianz zerstört und der Rest danach vom Irak selber vernichtet worden sei.
Die Forderung Iraks nach Abzug der US-Mitglieder der Unscom wird von allen Staaten des Sicherheitsrates zurückgewiesen. Damit ist völlig unklar, wo der diplomatische Kompromiß liegen könnte, den eine gestern von UNO-Generalsekretär Kofi Annan nach Bagdad entsandte dreiköpfige Delegation aushandeln könnte. Wie angekündigt verweigerte Bagdad gestern den US-Waffeninspektoren den Zugang zu dem mutmaßlichen Depot.
Mit Blick auf das morgen abend ablaufende Ultimatum zum Verlassen des Landes, das Bagdad den zehn US-Inspektoren gesetzt hat, mehren sich daher im US-Kongreß die Stimmen, die auf einen militärischen Schlag drängen. Doch obwohl eine derartige Maßnahme US-Präsident Bill Clinton und noch mehr Israels Premier Benjamin Netanjahu ein kurzzeitige Ablenkung von anderen drängenden Problemen bescheren könnte: anders als sein Vorgänger George Bush vor sieben Jahren ist Clinton nicht an einer militärischen Eskalation interessiert. Ein Angriff würde mit größter Wahrscheinlichkeit die noch vorhandenen B- und C-Waffenanlagen Iraks nicht zerstören. Der politische Schaden für die USA im Hinblick auf ihr Verhältnis zu Rußland, Frankreich und China sowie zu einer Reihe arabischer Staaten wäre jedoch immens. Andreas Zumach, Genf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen