: Sing den Unterschied
■ Entdeckerlust im Siebdruck: Marty Brito schuf ein Kunstbuch als Hommage an die Sängerin Violeta Parra
„Ich singe den Unterschied, der die Wahrheit trennt von Lüge. Andernfalls singe ich nicht. Yo canto la diferencia.“Das war das Lebensmotto der chilenischen Sängerin und Volksheldin Violeta Parra, und so heißt auch das schillernde Buch, das die Grafikerin Marty Brito gestaltet hat. Im Oktober wäre Violeta Parra 80 Jahre alt geworden, und das soeben erschienene Kunstbuch ist eine Hommage der in Bremen lebenden Chilenin Brito an die eigenwillige Künstlerin ihrer Heimat. Ihr Leben lang kämpfte Violeta Parra gegen das Vergessen der traditionellen chilenischen Musik. In den 50er Jahren, als es verboten war, die Lieder der Indios zu spielen, machte sie die alten Rhythmen und Instrumente wieder populär. Sie gilt als die Mutter der lateinamerikanischen Folklore, die später auch Mercedes Sosa berühmt machte. Die Lieder Violeta Parras sind Chroniken ihres Volkes. Sie berichten von der Ausbeutung und der Armut der Landarbeiter, sie sind aber auch ein Plädoyer für die Liebe mit all ihren Zwiespältigkeiten.
„Ihre Kraft und Leidenschaftlichkeit haben mich auch zu den starken Farben inspiriert“, sagt Marty Brito. Die im Siebdruckverfahren hergestellten Seiten bilden eine Phantasielandschaft, deren Farben an gewebte Decken aus Chillan (Südchile), der Heimat Violeta Parras, erinnern sollen. Wie ein bunter Fächer liegen die Buchseiten übereinander, „weil ich glaube, daß man Violeta Parra entdecken muß“, meint Marty Brito. „So wie man Frida Kahlo entdecken mußte, die lange unbekannt war. Deshalb habe ich die biographischen Teile über Violeta versteckt, so daß es beim Blättern immer wieder eine Überraschung gibt.“Während sie erzählt, streichelt Marty Brito immer wieder über die Seiten, die eine nach der anderen bis zu siebenmal im Siebdruck durchgewalzt worden sind. Natürlich wäre die Herstellung im Offsetverfahren schneller und billiger gewesen. „Aber das fühlt sich nicht so schön an, und das Buch soll ja auch zum Anfassen einladen“, wünscht sich die Grafikerin. Schon der Buchdeckel macht neugierig, verführt zum Berühren und Hineinschauen. Auf dunkelviolettem Untergrund ist eine Figur zu sehen, die Violeta Parra für einen ihrer berühmten Wandteppiche geschaffen hatte. In ihrer Mitte ist eine Art Fenster gestanzt, das Einblicke in das Innenleben des Buches erlaubt.
Violeta Parra war nicht nur Musikerin, sie war zugleich auch Töpferin, Malerin und Bildhauerin. Außerdem kreierte sie große Wandteppiche und stellte sie als erste Lateinamerikanerin im Pariser Louvre aus. Jeder ihrer Teppiche erzählt eine persönliche Geschichte oder ist ein Protest gegen die Ungerechtigkeiten in ihrem Land. Trotzdem – viele hielten die unkonventionelle Violeta für eine ziemlich komische Person: eine Frau, die sich nachlässig kleidete, ungekämmt herumlief und voller künstlerischer Bessessenheit war.
Eigentlich sei es unmöglich gewesen, dieses aufwendige Buch im Eigenverlag herauszubringen, meint Brito. Aber der Erfolg ihres ersten Kunstbuches „Wohin gehen die geträumten Dinge?“spornte sie an, das Unmögliche möglich zu machen.
Das Buch sollte unbedingt mit der Musik Violeta Parras erscheinen. Doch die Schallplattenfirmen verweigerten ihr die Rechte an der Originalstimme. Also produzierte sie kurzerhand eine CD mit zwei in Bremen lebenden chilenischen Musikern, dem Duo „Mamel y Choche“. Und zuletzt bekam sie dann doch noch die Rechte für ein Lied mit der Stimme von Violeta Parra – für eines ihrer bewegendsten Lieder „Gracias a la vida“.
Ihr Dank an das Leben war zugleich ihr Abschied, als sie sich vor 30 Jahren das Leben nahm. Müde geworden vom Kampf um eine gerechtere Welt und enttäuscht von einer unglücklichen Liebe.
Beate Hoffmann
Lesung und Konzert: 6. November, um 20 Uhr im Haus im Park
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